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19.12.2022
Bauen wie vor 20 Jahren
Bürohaus von Reinhard Müller und Tchoban Voss Architekten in Berlin
Berlin ist reich an Brachen, um die lange gestritten wurde und die schließlich recht profan bebaut wurden. Unter all diesen Flächen darf die Cuvrybrache zwischen Spree und Schlesischer Straße als eine der prominentesten gelten, steht sie doch geradezu idealtypisch für die Gentrifizierung und Kommerzialisierung Kreuzbergs.
Seit Ende der 1990er Jahre wurde um die Bebauung der Brache gerungen. Aus dem Jahr 2002 stammen sowohl die Baugenehmigung als auch der städtebauliche Entwurf, auf dessen Basis schließlich gebaut wurde. Der Berliner Architekt Reinhard Müller legte damals eine Planung (bis Leistungsphase 4) vor, die im Wesentlichen zwei lange, fünfgeschossige Riegel mit drei zusätzlichen Staffelgeschossen vorsah, die einen zur Spree hin offenen Hof bilden. Neben der Baukörperfigur mit den prägnanten Giebeln wurden damals auch das Material und die grundsätzliche Gliederung der Fassaden bereits weitgehend festgelegt. Auf der Basis von Müllers Entwurf planten wiederum Tchoban Voss Architekten (Berlin) seit 2016 den im August 2021 fertiggestellten Bürostandort Cuvry Campus. Das Büro verantwortete die Leistungsphasen 2–4 sowie die Leitdetailplanung (Leistungsphase 5). Die Realisierung lag in den Händen der Wiener Niederlassung des Generalunternehmers PORR.
Zwischen Müllers städtebaulichen Planungen und dem nun fertiggestellten Projekt passierte einiges auf der Brache, weshalb sie zu einer zentralen Projektionsfläche des Kreuzberger Kampfes um eine sozial und kulturell angemessene Stadtplanung wurde. 2007/08 realisierte der italienische Streetart-Künstler Blu zwei gewaltige Graffitti auf den Brandwänden am südlichen Rand des Geländes. Gut zehn Jahre ist es wiederum her, dass Atelier BowWow hier den temporären Pavillon Guggenheim Lab aufstellen wollten, in dem über Stadt und Kultur diskutiert werden sollte. Der Aufschrei in der Nachbarschaft war groß, schien der internationale Think Tank doch idealtypisch für die endgültige Gentrifizierung Kreuzbergs zu stehen. Ein Protestcamp entstand, das sich zu einer informellen Siedlung verstetigte, in dem zeitweise bis zu 200 Menschen lebten, darunter Aussteiger*innen, Künstler*innen, Obdachlose und Romafamilien. 2014 kam es zu einer Brandstiftung, anschließend wurde das Gelände geräumt. Im Dezember 2014 wurden die Graffitti aus Protest und mit Zustimmung Blus schwarz übermalt.
Bereits seit 2011 befindet sich das rund 10.000 Quadratmeter große Grundstück in bester Spreelage im Besitz des Berliner Immobilienunternehmers Artur Süsskind. Zwischenzeitlich war eine Wohnbebauung nach dem Modell der kooperativen Baulandentwicklung geplant, doch Bezirk, Senat und Eigentümer konnten sich nicht einigen. 2016 griff Süsskind deswegen auf die seit 2002 geltende und immer wieder verlängerte Baugenehmigung für einen weitgehend monofunktionalen Bürostandort samt Tiefgarage zurück, um circa 40.000 Quadratmeter oberirdische und 9.400 Quadratmeter unterirdische Bruttogrundfläche zu realisieren. Im Erdgeschoss gibt es Flächen für Handel und Gastronomie. An der Schlesischen Straße befindet sich außerdem ein 210 Quadratmeter umfassender „Kiezladen“, mit dessen Ausbau und Bespielung durch das Bezirksamt jedoch noch nicht begonnen wurde. Auf ein zwischenzeitlich vom Eigentümer geplantes Hotel an der Ecke Schlesische Straße/Cuvrystraße wurde letztlich verzichtet.
Ein zentraler Aspekt des Projekts ist die Zugänglichkeit zum Spreeufer, da die kommunale Planung perspektivisch einen öffentlichen Weg entlang der Spree vorsieht, was aber nicht ganz einfach ist, da das südlich anschließende Gebäude unter Denkmalschutz steht und bis an die Uferkante heranreicht. Auf dem Areal des Cuvry Campus gilt jedenfalls entlang des Ufers öffentliches Wegerecht, das in einem städtebaulichen Vertrag festgeschrieben wurde. Zwischen 6 und 22 Uhr ist der Durchgang am Ende der Cuvrystraße geöffnet. Im eigentlichen, etwas höher gelegenen Innenhof gilt das Hausrecht des Eigentümers.
Die vermietbare Fläche im Cuvry Campus beträgt 38.000 Quadratmeter. Lange Zeit war geplant, dass Zalando als Alleinmieter einziehen sollte, doch der Modeversandhändler zog sich 2018 aus dem Projekt zurück. Ankermieter ist nun der Essenslieferdienst Lieferando, daneben findet man unter anderem die Solarisbank sowie Anbieter von Co-Working-Flächen und Serviced Offices für Startups. (gh)
Fotos: Klemens Renner
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