Konstantin Melnikov überformte die Konstruktion seiner Bauten für die junge UdSSR und Giuseppe Terragni erhob sie für seine zwiespältige Casa del Fascio zum visuellen Leitmotiv. Das ist schon lange her, die ideologischen Auseinandersetzungen um eine transparente Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind längst abgeklungen. Doch die Idee ihrer Ehrlichkeit gibt es immer noch. Im Schweizer Saint Sulpice haben FHV – Fruehauf, Henry & Viladoms Architectes aus dem nahe gelegenen Lausanne einen kleinen Bürobau realisiert, der sich mit ästhetischem Anspruch dem architektonischen Paradigma einer Sichtbarkeit der Konstruktion widmet.
Im Dialog mit einem benachbarten Mehrfamilienhaus, das Claudius Fruehauf, Guillaume Henry und Carlos Viladoms ebenfalls für den Bauherrn Edipresse Développement, ein Medienkonzern und Immobilienentwickler aus Lausanne, zu Beginn dieses Jahres fertigstellten, haben die Architekten dieses Bürogebäude angelegt. Die außergewöhnliche Geometrie beider Baukörper verbindet Wohn- und Bürobau. Der Grundriss des letzteren ist eine Art Rechteck, dessen Seiten gezackt ausfransen. Als sei sie grob plissiert, wächst die vor- und rücklaufende Betonfassade zweigeschossig aus dem Grundriss heraus.
Der Eingang des kleinen Bürobaus ist großzügig: Eine lange Rampe – ebenfalls aus Beton – markiert den Zugang, der zugleich als tiefer Einschnitt in den Baukörper portalartig ausgeformt ist. Er führt direkt zu einem kleinen Lichthof und Treppenaufgang. Dieses zentrale Stiegenhaus stellt die einzigen Innenwände. Die Büroräume sind auf beiden Etagen stützen- und wandfrei. Lediglich die gefaltete Form der Außenwände strukturiert den Innenraum.
Das Treppenhaus ist zudem der statische Kern des Gebäudes. Von hier aus tragen die Betonscheiben von Boden und Decke die Last nach außen. Die konstruktive Struktur ihres Neubaus haben die Architekten gleichsam als Fassade ausgestaltet. Ein tragendes Gitter aus Ortbeton legt sich mit weit gespreizten Fensteröffnungen um den Bürobau. Obgleich auch FHV mit den kräftigen Betonstützen ihren Bau überzeichnen, verbinden sie in dieser Architektur auf kluge Weise einen ästhetischen Anspruch mit der Ablesbarkeit der Konstruktion. (sj)
Fotos: FHV
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
1
joscic | 02.09.2015 14:21 UhrEines der besten Häuser der Woche,
das zeigt, wie man mit kleinen Verschiebungen und ohne Verrenkungen eine große Wirkung erzielen kann. Das Treppenhaus ist im Vergleich zum Rest eine Spur zu edel.