Friedrich Schlegels Schlagwort vom „Historiker als rückwärts gekehrtem Propheten“ passt ganz gut auf den Kunsthistoriker Peter Müller, der mit seinem Buch „Symbolsuche“ die lange Planungsgeschichte des Ost-Berliner Zentrums pünktlich zum Palastabriss nachgezeichnet hat. Jetzt, da bald eine Brachfläche anstelle des Palastes bzw. Stadtschlosses klafft, lässt sich mit dem Blick in die Vergangenheit schon ahnen, wie lange dieser Zustand der Leere wohl dauern wird.
Über 24 Jahre währte die Suche nach einem geeigneten, repräsentativen Gebäude für die Hauptstadt der DDR, wobei sowohl die Bauaufgabe immer wieder neu definiert als auch eine adäquate Formensprache gesucht wurden. Eine ähnliche Situation bietet sich heute, da bereits einige neue Wettbewerbe für dieses Areal durchgeführt wurden und die Frage nach einer Funktion für das fassadenrekonstruierte Hohenzollernschloss noch immer nicht geklärt ist. Diese rückwärts gerichtete Weissagung lässt also keine Hoffnung auf eine baldige Klärung des Problems Schlossplatz, stellt aber einen wertvollen Beitrag zur Planungsgeschichte der DDR dar.
Der vorliegende Band von Peter Müller ist eine Dissertationsschrift, die ausnehmend präzise und ausführlich recherchiert und äußerst eloquent und teilweise ironisch vorgetragen ist. Jedes Archiv scheint von ihm durchschnüffelt, jeder Aktendeckel gehoben und jeder Widerspruch in der Primärliteratur aufgespürt worden zu sein, so komplett stellt sich der Fußnotenapparat und das Literaturverzeichnis dar. Dadurch konnten zahlreiche unveröffentlichte Dokumente, Entwürfe, Plangrafiken und Fotografien erstmals vorgestellt und erhellend analysiert werden.
Geradezu vorbildlich seine scharfen Beobachtungen der vielen Pläne und Modelle, die neben dem Gebäudeentwurf immer die gesamte städtebauliche Absicht im Auge behalten. Mal weist er nach, daß sich selbst der architekturtheoretische Vordenker Bruno Flierl auch in Widersprüchen verfangen konnte, mal deutet er auf die Hektik hin, mit der einige Entwürfe fertig gestellt wurden, weil die Modellbauer in aller Eile die Schinkelkirche verkehrt herum aufgeklebt haben, mal deckt er Fehler in der Primärliteratur nach und bietet damit so etwas wie eine kommentierte Bibliographie... Diese Intensität und Vollständigkeit lässt in den letzten Kapiteln, die dem Palast der Republik und dem Fernsehturm gewidmet sind, leider etwas nach, was der Vollständigkeit der Übersicht jedoch keinen Abbruch tut.
Symbolsuche: Nach den Zerstörungen des Bombenkrieges wollte die DDR-Regierung mit ihrem Zentrumsplanungen ein „Symbol für den Wiederaufbau aller deutschen Städte“ schaffen. Ein in den ersten Überlegungen „Zentralgebäude“ genannter Bau sollte daher nicht nur ein architektonisches, sondern auch ein politisches Manifest sein.
Zunächst wurde die Fläche bereinigt, indem 1950 das Schloss als überkommenes Relikt des preußischen Feudalstaates abgerissen wurde. Der gewonnene Platz war als „Marx-Engels-Forum“ Bühne für die Massendemonstrationen des SED-Regimes, deren Durchführbarkeit bei allen folgenden Planungen eine wesentliche Rolle spielte.
Mitte der fünfziger Jahre versuchten sich verschiedene Architekten mit ihren Entwürfen zu profilieren, bis 1958/59 offiziell ein „Ideenwettbewerb zur sozialistischen Umgestaltung des Zentrums der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin“ ausgelobt wurde. Dieser Wettbewerb stellte jedoch nur das Rauschen für die beiden außer Konkurrenz vorgebrachten Beiträge von Gerhard Kosel und Hermann Henselmann dar, die exemplarisch für die Zerrissenheit der Architektenschaft zwischen dem Stil der nationalen Traditionen und einer modernen Formensprache standen. Kosel sah einen Turmbau vor, der sich an den Moskauer Hochhäuser im stalinistischen Zuckerbäckerstil orientierte, Henselmann eine moderne Komposition aus mehreren Gebäuden und einem „Turm der Signale“, der mit seiner Kugel an den Sputnik erinnern sollte. Das unbefriedigende Ergebnis des Wettbewerbs und Geldmangel führten zu einer Einstellung der Planungen.
In den folgenden Jahren verfolgte Henselmann einen Entwurf mit einem Hochhaus weiter, der einen schlanken Büroturm und einem Flachbau für Staatsrat und Ministerrat mit einer Rotunde für den Plenarsaal der Volkskammer vorsah. Die Planungen dieses unausgewogenen Entwurfs gingen schon recht weit, scheiterten jedoch abermals an den Finanzen. (Die vielen Beispielbauten, die Müller als Vergleiche für die Entwürfe heranzieht, sind so treffend, dass es als Versäumnis angesehen werden muss, den für das gesamte Bauwesen im Ostblock so richtungweisenden Entwurf für den Sowjetpalast in Moskau von A. Wlassow aus dem Jahr 1958 nicht als deutliches Vorbild für die Rotunde der Volkskammer angeführt zu haben.)
1964 bringt Henselmann seine Idee von einem „Turm der Signale“ noch einmal in die Diskussion, der dann auch 1969 als Fernsehturm am Alexanderplatz ausgeführt wurde und zumindest die Hälfte des Zentrumsproblems löste. Die Assoziation mit dem Sputnik sollte von den technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften des Sozialismus zeugen und als Höhendominante den westlichen Teil der Stadt beeindrucken. So übernahm ein Funkturm die Zeichenfunktion, die ursprünglich von einem zentralen Gebäude ausgehen sollte. Übrig blieb damit der Entwurf für ein „rentables Verwaltungsgebäude der Regierung“, das in Form von Graffunders Palast der Republik erst weitere zehn Jahre später, 1974, realisiert wurde. Dessen relativ niedrige und einfache Kubatur bereicherte weder die Stadtsilhouette noch eignete er sich als Symbol. Die Ost-Berliner Zentrumsplanung endete damit aporetisch.
Die Planungsgeschichte wurde begleitet von parteipolitischem Taktieren, Antichambrieren bei Gremien und Kommissionen, von emotionalen Diskussionen, bei denen nicht nur der Entwurf, sondern zugleich die politische Gesinnung des konkurrierenden Projektanten kritisiert wurden, und von ungefragten Entwurfsvorschlägen und der Erstellung von Varianten. Bezeichnend ist dabei, dass selbst ein so autokratischer Machthaber wie Ulbricht keine Lösung per Dekret zur Realisierung bringen konnte und sich den finanziellen Möglichkeiten beugen musste. Auch das ein Ausblick auf die Zukunft.
Das Buch ist ähnlich wie die Publikationen „Aufbau – Ostkreuz“ von Durth/Düwel/Gutschow, „Architektur in der DDR“ von Joachim Palutzki und „Wände der Verheißung“ von Peter Guth ein Standardwerk, das keine Fragen zum Gegenstand mehr offen lässt.
(Arne Winkelmann)
Peter Müller
344 Seiten, Festeinband, 164 Schwarzweiß-Abbildungen, Format: 18 x 24,5 cm, Preis: 58 Euro
Gebrüder Mann, Berlin 2005
ISBN: 3786124973