Von Stephan Becker
Die Niederlande wären ein besseres Land, wären zumindest einige seiner frühen Entwürfe realisiert worden, glaubte Rem Koolhaas am 3. März 1989. Es war der Vorabend der ersten großen Retrospektive des Büros, die unter dem Titel OMA. The First Decade auf die ersten zehn Jahre Arbeit zurückblickte. Was anmaßend klingt, hatte einen konkreten Hintergrund: Immer wieder konnte das Office for Metropolitan Architecture wichtige Wettbewerbe gewinnen, keiner dieser Entwürfe kam aber schließlich in Ausführung.
Der Name der damaligen Ausstellung ist nun zugleich auch der Titel der 94. Ausgabe der niederländischen Zeitschrift OASE, die Mitte April erschienen ist. Noch einmal soll es um die frühen Jahre gehen, wobei der Fokus laut der Herausgeber Christophe Van Gerrewey und Véronique Patteeuw diesmal nicht auf Koolhaas’ „ausweislicher Intelligenz“, sondern auf seinen Fähigkeiten als Architekt liegen soll. Was taugen die 42 Projekte, die zwischen 1978 und 1989 entstanden sind? Zumindest war es eine unglaublich intensive Zeit, in der das Büro mehrere wichtige Phasen durchlief. Das wird schon nach den ersten Seiten deutlich.
Die Ausgabe präsentiert zum einen zehn konkrete Projekte, die von Autoren wie Joost Meuwissen, David Peleman, Kersten Geers oder Lara Schrijver kritisch gewürdigt werden. Zum anderen diskutieren sechs längere Essays unter anderem von Angelika Schnell oder Pier Vittorio Aureli die größeren historischen Zusammenhänge. Und was zur Sprache kommt, ist dabei angenehm abwechslungsreich.
So verwandelt beispielsweise Sabine von Fischer in ihrem wunderbaren Text zum Hotel Furkablick die Hintergründe des Projekts in eine mysteriöse Geschichte, die an Wes Anderson denken lässt. Während Aureli in seinem ebenfalls sehr lesenswerten Text zu den Grand Projets theoretisch versiert nachzeichnet, wie OMAs Entwurf für den Pariser Parc de la Villette unsere neoliberale Gegenwart vorwegnimmt. Aureli meint dies jedoch nicht als simple Kritik – eher überwiegt auch bei ihm, wie bei allen Autoren des Buches, die Faszination, wie viele Themen und Ideen tatsächlich in den Entwürfen des Rotterdamer Büros zu finden sind.
Also wieder Rem Koolhaas, der „Houdini der Architektur“, der seinen intellektuellen Herausforderern entkommt? Nicht ganz, denn The First Decade funktioniert auch als eine Art reverse engineering des Systems OMA. Das macht die Lektüre nicht nur spannend, sondern es zeigt sich auch: Alles ganz einfach, wenn man nur weiß, wie es geht. Wobei Koolhaas natürlich schon lange, lange weitergezogen ist.
OASE #94: OMA. The First Decade
Nai010 Publishers, Rotterdam, April 2015
Herausgegeben von Christophe Van Gerrewey und Véronique Patteeuw
Softcover 128 Seiten, englisch und niederländisch
19,95 Euro
www.oasejournal.nl