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10.10.2013
Die Stadt in der Stadt
Bücher im Baunetz
O.M. Ungers kurzzeitige Rückkehr aus Cornell nach Berlin im Sommer 1977 ist inzwischen schon fast eine mythische Begebenheit. Mit seinen Assistenten Rem Koolhaas, Peter Riemann, Hans Kollhoff und Arthur Ovaska veranstaltete er eine Summerschool, deren zentrale Konzepte, die Urban Villa und das Stadtarchipel, seitdem ein seltsames Eigenleben führen. Während die Stadtvilla zum kommerziellen Erfolgsrezept eines jeden Investors mutierte, wurde das Archipel zum Bezugspunkt für all jene, die in einem polyzentrischen Stadtmodell den Gegenentwurf zu gentrifizierten Innenstädten sehen.
Umso erstaunlicher, dass die dazugehörige Publikation „Die Stadt in der Stadt – Berlin das grüne Stadtarchipel“, die damals für eine Präsentation beim SPD-Senat erstellt wurde, seither praktisch nicht verfügbar war. Florian Hertweck und Sébastien Marot haben sich dieses Missstands nun mit einer kritischen Ausgabe des damaligen Manifests angenommen, die gerade bei Lars Müller Publishers erschienen ist.
Kritisch meint hier tatsächlich eine philologische Detailarbeit, mittels der an verschiedenen Textfassungen die Genese der Grundidee untersucht wurde. Diese ist so einfach wie, im historischen Kontext, einleuchtend. Berlin, damals eine Shrinking City, soll nicht als Ganzes erhalten, sondern Schritt für Schritt zu einem Archipel aus formal besonders konsequenten Stadtinseln kondensiert werden, die in einem „grünen Ozean“ aus renaturierten Freiflächen und Infrastruktureinrichtungen schwimmen.
Die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten zeigt die genaue Analyse. Während sich Rem Koolhaas als Urheber der ersten Fassung vor allem für das vielfältige, offene Leben im Zwischenraum interessiert, verschiebt Ungers mit Blick auf die kommende IBA den Fokus auf eine eher formale städtebauliche Betrachtung der Inseln. Form versus Formlosigkeit, das sind noch heute die Konfliktlinien der Berliner Stadtpolitik. Es verwundert daher nicht, dass sich Architekten wie Arno Brandlhuber auf das Grüne Stadtarchipel beziehen, um ihrer Forderung nach einer neuen städtebaulichen Vision für Berlin Gewicht zu verleihen.
All diese Aspekte präsentieren Hertweck und Marot auf vielseitige Weise. Kern ihrer kritischen Ausgabe sind Faksimiles der Originaltexte, die mittels eines umfangreichen Fußnotenapparats eingeordnet werden. Ergänzend gibt es Essays zu den Hintergründen und Auswirkungen der Idee, vor allem aber auch lange Gespräche mit den noch lebenden Beteiligten. Eine vorbildliche Darstellung, die sich zum Teil liest wie eine Detektivgeschichte.
Soviel Aufmerksamkeit für einen einzigen Moment, das beschwört allerdings auch nostalgische Gefühle für eine Zeit, in der das Nachdenken über Gesellschaft unmittelbar in einem neuen Stadtentwurf resultieren konnte. Dass dieses Modell trotz großer gesellschaftlicher Veränderungen über 35 Jahre später noch immer aktuell erscheint, mag allerdings auch bedeuten, dass seitdem nicht mehr auf ähnlich visionäre Weise über Stadt und Gesellschaft nachgedacht wurde. (Stephan Becker)
Die Stadt in der Stadt
Berlin: Ein grünes Archipel
Oswald Mathias Ungers, Rem Koolhaas, Peter Riemann, Hans Kollhoff, Arthur Ovaska, herausgegeben von Florian Hertweck und Sébastien Marot, Lars Müller Publishers, Zürich 2013
Gebunden, 174 Seiten, in deutscher oder englischer Sprache
40 Euro
www.lars-mueller-publishers.com
>>> Am 12. Oktober in Köln und 14. Oktober 2013 in Berlin stellen die Herausgeber Florian Hertweck und Sébastien Marot das Buch persönlich vor. In Köln diskutieren sie im Ungers Archiv für Architekturwissenschaft mit André Bideau und Lara Schrijver. Im Berliner DAZ moderiert Matthias Böttger einen Abend mit Arno Brandlhuber, Finn Geipel, Matthias Sauerbruch, Regula Lüscher und Lars Müller.
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