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08.10.2011

Niklas Maak: Fahrtenbuch

Bücher im BaunNetz


Unsere Edelfedern im Architektur-Feuilleton drängt es zum Buch: Erst schreibt Gerhard Matzig über seine Ehe („Meine Frau will einen Garten“), dann lässt sich Peter Richter über seinen Alkoholkonsum aus („Über das Trinken“), und nun kommt Niklas Maak und schreibt – über sein Auto.

Die Idee dahinter ist so ungewöhnlich wie hübsch: Er hat in den Fahrzeugschein des Mercedes 350 SL, Baujahr 1971, geschaut und eine Recherchereise zu den Vorbesitzern dieses ebenso edlen wie unpraktischen Oberklasse-Cabrios gemacht. Die mal mehr, mal weniger ergiebigen Auskünfte der Vorbesitzer hat er dann zu einem Reigen von fiktionalen Kurzgeschichten verdichtet, die einzig durch dieses Auto zusammengehalten werden. Ansonsten stehen sie unverbunden hintereinander; ein Grande Finale, in dem alle Protagonisten zusammengeführt würden, fehlt – und wäre auch mit der Ausgangslage unvereinbar. Wer hat schon Berührungspunkte zu den Nachbesitzern seines ehemaligen Autos?

Das Auto ist ungefähr so alt wie der Autor, was ihm ermöglicht, eine Zeitspanne von rund vierzig Jahren aufscheinen zu lassen. Die Stories der Autohalter stehen pars pro toto für das Leben, das in diesen Jahrzehnten in Norddeutschland, Südfrankreich, Italien oder Berlin-Mitte geführt wurde: die Sex-Orgien auf einem WG-Fest vor der Aids-Ära, die Drohungen der Jugoslawen-Mafia gegenüber einem italienischen Gastronomen in München, die Malkurse für deutsche Rentnerinnen auf dem Apennin, der Absturz der DAX-Kurve auf dem iPhone-Display nach der Lehman-Pleite, die Stasi-Spitzeleien in Karlsbad oder die Gewinne, die ein Kohlenhändler im West-Berlin der achtziger Jahre mit Softeis-Automaten gemacht hat. Manches ist so stereotyp, dass es gar nicht ausgedacht sein kann.

Schnell wird klar: Es geht hier nur vordergründig um Autos, genauso gut geht es um Häuser, womit sich der Kreis zum Architektur-Feuilleton wieder schließt: ein geförderter Atombunker im Keller eines Bungalows, den der Besitzer zu einer handgeflämmt-holzgetäfelten Kellerbar umbaute, als er nicht mehr mit einem Atomkrieg rechnete. Eine dunkle, feuchte Villa oberhalb des Hafens von Neapel, nicht das Neapel der Caprifischer, sondern das Neapel der Öltanks und der Mortadellabrote. Eine Sozialbauwohnung am Stadtrand. Ein Tabbert-Anhänger mit dicken Gardinen und Polstern auf dem Campingplatz. Graubraune DDR-Eigenheime, die nach der Wende mit tonnenweise Furnierplatten, Blumentapeten, abwaschbaren Fenstersprossen, Toskanakacheln und Veloursbommeln in den Alptraum eines französischen Provinzfürsten verwandelt wurden.

Das Ganze liest sich so kurzweilig, weil der Autor in einer Art technischer Genauigkeit zeittypische Alltagsdetails ebenso einbaut wie die üblichen sozialen Verwicklungen und gut beobachtete Dialoge. Man legt das Buch aus der Hand und weiß: So könnte es gewesen sein. (-tze)

Fahrtenbuch. Roman eines Autos
Niklas Maak
Hanser Verlag, 2011
Fester Einband, 368 Seiten
19,90 Euro


www.hanser-literaturverlage.de


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