Die Wirtschaft Indiens boomt, die Megastädte des Landes wachsen. Seitdem die indische Regierung 1992 die Grenzen des Landes dem Weltmarkt öffnete, findet man die Niederlassungen multinationaler Konzerne in der Peripherie indischer Großstädte zwischen Slums und Weizenfeldern, während indische Exilanten aus Los Angeles oder Dubai bereit sind, beachtliche Summen für ein Wochenenddominzil in einem antikisierenden Wohnturm an der Westküste Bombays zu bezahlen.
Die Publikation „Modern Traditions“ lässt jedoch die Phänomene der wuchernden indischen Stadtlandschaft außen vor und präsentiert stattdessen mit 13 Bauten bekannter indischer Architekten das elitäre Segment der indischen Bauproduktion: zeitgenössische moderne Architektur. Als Einstieg bietet das Vorwort von Raj Jadhav einen kurzweiligen Überblick über die Architekturgeschichte Indiens seit dem 2. Weltkrieg; im Hauptteil hat der Herausgeber und Architekt Klaus Peter Gast die Projekte des Buches in acht Kapitel nach Stilrichtungen sortiert: „Indian Modern“, „Regionalistic Modern“, „Late modern“ oder „Classical modern“. Das Adjektiv „modern“ schafft es allerdings nicht, einen überzeugenden Zusammenhang zwischen den Projekten herzustellen – abgesehen davon, dass sie in Indien realisiert und von indischen Architekten geplant wurden. Die Publikation funktioniert eher in Analogie zum Masala-Prinzip der indischen Filmindustrie, die nach dramaturgischen Prinzipien der hinduistischen Mythologie alle Gemütslagen von komisch, wütend, traurig bis heldenhaft innerhalb eines dreistündigen Dramas zu befriedigen sucht: postmoderne Schnörkel von Charles Correas Regierungsgebäude in Bhopal (1997), die strenge Fortführung des Louis-Kahn-Campus in Ahmedabad von Bimal Patel (2006), eine Luxusvilla mit kreuzförmigen Grundriss und Wasserbecken in der Wüste von Gujarat von Rahul Mehrotra (2004) oder der „Low Cost Housing Complex“ von Raj Rehwal in New Mumbai (1993).
Warum sollte das Bild der indischen Architekturszene homogener sein als die Stadtlandschaft? Es ist begrüßenswert, dass endlich Beispiele der indischen Architekturszene aufs internationale Parkett gebracht werden. Dennoch drängt sich das Gefühl auf, dass die Publikation unter anderem dazu dient, dem in dem Band publizierten „House Leslie Pallath“ von Klaus Peter Gast einen angemessenen Platz in der Rezeption der indischen Moderne zukommen zu lassen. (ak)
Zum Thema:
Modern Traditions
Contemporary Architecture in India
Herausgeber: Klaus-Peter Gast
2007, Birkhäuser Verlag
Sprache: Englisch
128 Seiten, 203 Illustrationen, davon 87 in Farbe, Hardcover, 42,69 Euro
ISBN: 978-3-7643-7754-0