Wenn modernes Design eine Religion ist, dann ist Naoto Fukasawa ihr neuer Prophet. Die Objekte, die der 1956 geborene Japaner gestaltet, sind von spielerischer Leichtigkeit, fast so, als wären sie schon immer da gewesen. Vielleicht liegt das daran, dass manche die Vertrautheit von Designklassikern ausstrahlen – so als wären sie die logische Fortsetzung eines Entwurfs von Dieter Rams oder Richard Sapper – und sind doch völlig neu.
In seiner ersten Monographie schildert Naoto Fukasawa selbst den Gestaltungsprozess seiner Objekte. Seine Sammlung von Alltagsbeobachtungen, mit Fotos dokumentiert, ist unglaublich wertvoll, genauso wie die Offenheit, mit der er seine Inspirationsquellen darlegt. Ergänzt wird das Buch von Essays zeitgenössischer Designer wie Jasper Morrison, Bill Moogridge und Antony Gormley.
Beim Lesen der Texte Fukasawas könnte man meinen, er sei selbst ein einziges Wahrnehmungsinstrument. Er betrachtet die Dinge in ihrer Gänze, nicht nur ihr Aussehen, auch ihre Textur, Geruch, Haptik sind wichtig. Dabei vermeidet er einen manchmal im Minimalismus anzutreffenden Materialfetischismus, der nur teure, edle Materialien bevorzugt. Fukasawa verwendet gerne Plastik. Und kein Gegenstand ist zu banal, um ihn nicht zu einem atemberaubenden Design zu inspirieren. Oder wer schafft es sonst, ein Handy zu gestalten, bei dem alle einen italienischen Sportwagen als Fomfindungsquelle vermuten, dessen Anmutung aber „nur“ einer geschälten Kartoffel zu verdanken ist?
Fukasawa interessiert sich dafür, wie Menschen Dinge benutzen, und besonders interessiert es ihn, wenn sie sie „falsch“ benutzen: Ein Fahrradkorb, der zum Mülleimer wird, eine „Blindenbrille“, an der sich auch telefonierende Menschen orientieren, eine Kerbe im Geländer, die unfreiwillig zum Aschenbecher wird. Denn dieses „falsche“ – oder vielmehr unbedachte („without thought“) – zeigt ihm das Potenzial eines Objekts. Und daraus wird eine verbreiterte Fliesenfuge, um den Regenschirm abzustellen, eine Kerbe im Regenschirmgriff, um eine Einkaufstüte daran zu hängen.
Fukasawa bewertet Handlungen nicht, er bemüht sich vielmehr, sein Design dem menschlichen Verhalten anzupassen, es darin verschmelzen zu lassen („Design Dissolving in Behaviour“). Er erinnert sich auch gerne an die Kindheit, in der die Wahrnehmung ja besonders intensiv ist. Einige seiner Objekte sind bewusst nostalgisch. Das liegt auch daran, dass er sich gegen bestimmte Designtrends der letzten Jahre wehrt, durch die manche Gegenstände weniger ergonomisch, weniger ästhetisch geworden sind, als sie schon einmal waren. Dazu gehört beispielsweise der immer flacher gewordene (Schnurlos-) Telefonhörer, dem er seine wuchtige „Knochenform“ zurückgibt, weil diese sich einfach perfekt an das menschliche Gesicht anschmiegt.
In der von ihm initiierten Serie +0 nimmt er sich Dinge vor, die längst Bestandteil unseres Alltags sind – wie Heizlüfter oder CD-Player –, für die es aber immer noch kein befriedigendes Design gibt. Solchen Gebrauchsgegenständen verleiht er eine Gestalt, durch die sie plötzlich vom Störfaktor im Raum zum Blickfang werden. Und urplötzlich kann man sich für die Schönheit von Klimaanlagen und Befeuchtungsgeräten begeistern.
Manchmal werden die Produkte aber auch zu schön: Dann sorgt sich Fukasawa, dass ein Kleinkind seinen mit einem kuschligen Flor bezogenen Heizlüfter in die Arme schließen könnte – deshalb sucht er für diesen jetzt nach einer besonders sicheren Technik. Leider kann man nur wenige der Produkte Fukasawas in Deutschland erwerben – nämlich die für Muji gestalteten in den Läden in Düsseldorf und München. Diesen und allen anderen kommt man aber durch dieses Buch ein ganzes Stück näher.
(Cordula Vielhauer)
Zum Thema:
Naoto Fukasawa
Herausgegeben von Naoto Fukasawa
290 x 250 mm, 240 Seiten, gebunden
ca. 300 Farbabbildungen
Phaidon Verlag, Berlin 2007
69,95 Euro
ISBN 978-0-7148-4586-9