Es ist nicht leicht, sich selbst zum Jungen und Wilden zu stilisieren. Bjarke Ingels versucht dies mit seiner Bjarke Ingels Group (B.I.G.) von Anfang an, seine Architektur erschreckt Dänemark mit einem Größenmaßstab, der dem kleinen Land bislang weitgehend unbekannt war. Mit den ersten Realisierungen hat das Büro auch gleich beweisen können, dass die fertigen Gebäude den spektakulären, dramatischen Renderings mindestens das Wasser reichen können. Etwa mit den Mountain Dwellings (siehe BauNetz-Meldung vom 14. August 2008) oder den VM Houses. Mit etlichen Wettbewerbsgewinnen und laufenden Projekten kann man sich heute sicher sein, dass B.I.G. keine „Eintagsfliege“ sein werden, sondern dass ihre Gebäude uns in den kommenden Jahrzehnten begleiten werden.
Wie aber erhält man sich den Ruf des jungen und wilden Architekten? Nun, zum Beispiel mit einer eigenen, ungewöhnlichen und spektakulären Ausstellung im Dänischen Architekturzentrum (siehe BauNetz-Meldung vom 17. Februar) und einem begleitenden Katalogbuch. Buch und Ausstellung sind natürlich nicht in einem „gewöhnlichen“ Format, sondern betont ausgefallen; nämlich in der speziellen Ästhetik eines Comics. In Sachen Zeitgeist beweist Ingels damit mal wieder das perfekte Gespür für die „Zeichen der Zeit“ – und reiht sich fröhlich in die Kinoverfilmungen von The Spirit, Sin City, X-Men, Spiderman, Batman, usw., usf. Ingels-Man, könnte man sagen und sich sicher sein, dass er das als Kompliment auffassen würde. Dass die Cover-Collage auf „Yes Is More“ gleichzeitig auch den Bogen zu ganz anderen Vorbildern wie „Metropolis“, „Blade Runner“ oder „Das fünfte Element“ spannen kann, ist allerdings faszinierend.
Ebenso wie der Inhalt des Buchs, der das begonnene, verspielte Comic-Format tatsächlich über 400 Seiten, auf denen 30 Projekte vorgestellt werden, durchhalten kann. Der gesamte Größenwahn in Architektur und Selbstdarstellung wird gleich auf den ersten Seiten klar: Dort begegnet uns neben Robert Venturi („Less is a Bore“), Rem Koolhaas („More is More“), Mies van der Rohe („Less is More“) auch Barack Obama („Yes We Can“), und das Ende dieser Kette der weltbewegenden Männer ist – Bjarke Ingels. Mit den Turnschuhen auf dem eigenen Schreibtisch ruft er „Yes Is More“. Und ja, man kann annehmen, dass dies lustig und ernst zugleich gemeint ist. Er sieht sich in dieser Reihe.
Welch positiven Einfluss Größenwahn auf Architektur haben kann, beweisen die folgenden Seiten. Die Projekte sind fast immer gleich gestrickt: Man kann zunächst angesichts der wahnsinnigen Renderings, die einem Sci-Fi-Film entsprungen scheinen, nicht glauben, dass dies ernst gemeint ist. Aber je mehr man sich auf die Erklärungen einlässt, desto schlüssiger und konsequenter erscheinen die Folgerungen. Ja, manches bleibt eine Erklärung schuldig und manches erscheint einfach nur spektakulär gestaltet, um noch einen drauf zu setzen. Pubertätskrankheit. Wird sich mit kommenden Realisierungen ausgleichen. Aber wenn man in jungen Jahren nicht Maximales will – wann dann?
Einziger Wermutstropfen in dieser durch und durch spannenden, unterhaltsamen, provokanten und humorvollen Publikation: Bjarke Ingels führt einen selbst durch das eigene Comic. Das bedeutet, dass man seinem gleichbleibenden Grinsen auf gefühlten 450 von 400 Seiten begegnet, und das geht irgendwann wirklich gar nicht mehr. Hier hätte man vielleicht wirklich einen fiktiven Superhelden erfinden müssen, BIG Man oder Architecture Woman. Ansonsten: Wirklich große Kaufempfehlung.
Die erste Auflage sei bereits ausverkauft, heißt es. Aber über Buchläden wie am NAI Rotterdam oder direkt übers Dänische Architekturzentrum kann „Yes Is More“ derzeit noch bestellt werden. Im September ist eine neue Auflage im Taschen Verlag geplant. (Florian Heilmeyer)
Zum Thema:
YES IS MORE - An Archicomic on Architectural Evolution, Herausgeber und Verlag: BIG – Bjarke Ingels Group, Softcover mit 400 Seiten, 17cm x 25 cm, Englisch, etwa 29,90 Euro, ISBN 9788799298808