Zum Baugeschehen in Berlin gibt es (neben den Denkmaltopographien einzelner Stadtteile) nichts Erhabeneres, Genaueres und gleichzeitig Unaufgeregteres als die über Jahrzehnte hinweg peu à peu erschienene Buchreihe „Berlin und seine Bauten“. Herausgegeben wird dieses mächtige Bauteninventar des 20. Jahrhunderts vom Architekten- und Ingenieurverein (AIV) zu Berlin, der damit einen seiner zwei wesentlichen Vereinszwecke erfüllt.
Nach zwei ersten Staffeln im 19. Jahrhundert, die als ein- bzw. zweibändige Reprints vor etlichen Jahren wieder zugänglich gemacht wurden, begann die aktuelle dritte Staffel der Buchreihe im Jahre 1964 – die meisten der seitdem erschienenen Teilbände sind längst wieder vergriffen.
Als abschließender Band 25 erschien soeben paradoxerweise „Teil I: Der Städtebau“. Eigentlich als Start der Reihe konzipiert, kann der im Jahre 2009 erschienene städtebauliche Überblicksband nun glücklicherweise auch das Planungsgeschehen der deutschen Hauptstadt nach Mauerfall und Wiedervereinigung noch berücksichtigen. Und das tut er auch – in einer Weise, die nicht unkommentiert bleiben soll. Denn mit diesem fünfundzwanzigsten und letzten Band wurde alles ein bisschen anders. Ein neuer Verlag wurde gefunden – das junge Unternehmen „DOM Publishers“ von Philipp Meuser –, und ein neues (Quer-)Format sorgte für eine signifikante Veränderung des Erscheinungsbilds gegenüber bisher. Man habe das Format gewählt, um die vielen Planzeichnungen besser und lesbarer unterbringen zu können, erläutert der Herausgeber.
Vielleicht sind es ja nur Kleinigkeiten, aber in der Summe machen sie ein anderes Buch daraus: Coffeetable statt wissenschaftliche Materialsammlung, so die erste Anmutung. Ein feiner Schutzumschlag mit Prägung, erstmals Farbaufnahmen im nennenswerten Umfang, eine nochmals gesteigerte Seitenzahl – das sind weitere Indizien für diesen Eindruck. Der formale Unterschied wäre allein nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht auch inhaltlich ein deutlicher Paradigmenwechsel festzustellen wäre. Und das liegt vor allem an der Autorenauswahl.
Für diese Buchreihe arbeiten ausgewiesene Fachleute üblicherweise ehrenamtlich. Für die ersten beiden behandelten Epochen sind über jeden Zweifel erhabene Wissenschaftler gewonnen worden: Harald Bodenschatz behandelt die Epoche von 1890 bis 1918, Jörn Düwel und Niels Gutschow kümmern sich um 1918 bis 1975. Mit der Wahl des Jahres 1975 als Zäsur wird erstmals nicht nach politischen Epochen unterteilt, sondern es wird das Denkmalschutzjahr 1975 herangezogen, das gemeinhin in Verbindung gebracht wird mit einem Wechsel in städtebaulichen Auffassungen: weg von Flächensanierung, Großsiedlungsbau und Funktionstrennung, hin zum Bauen im Bestand, zur „behutsamen Stadterneuerung“ und zur Funktionsmischung. Oder anders ausgedrückt: Abschied von der Moderne, Hinwendung zu nach-modernen Leitbildern. Und das wird in diesem Buch – sicherlich im Großen und Ganzen zu Recht – durchgängig begrüßt. In den sechziger Jahren hätte man hier das Gegenteil gelesen: So zeitabhängig kann also auch ein Standardwerk sein.
Die Epoche 1975 bis 2010 wird nun durch einen Autor vertreten, der in den letzten beiden Jahrzehnten als polarisierender Akteur des städtebaulichen Geschehens wahrgenommen wurde: Der – inzwischen pensionierte – Senatsbaudirektor Hans Stimmann ist Partei und nicht Chronist; ihm eine tragende Autorenrolle in einem solchen Werk einzuräumen, hinterlässt mehr als ein „Geschmäckle“. Auch wenn er sich hier vergleichsweise zurückhaltend äußert, kann er seine unterschiedslose Verachtung für den Städtebau der Moderne ebenso wenig verhehlen wie seine Befriedigung über das Ende der DDR. Dabei nimmt er in Kauf, auch solche Leistungen der Moderne, zumal der „Ostmoderne“ (Ausstellungstitel), zu missachten, die eine differenziertere Betrachtung erfordert hätten.
Und nun kommen wir wieder zum Formalen: Was soll zum Beispiel eine ganzseitige Luftaufnahme (fotografiert durch den Verleger Philipp Meuser)
vom Abriss des Palastes der Republik anderes ausdrücken als die Genugtuung derer, die sich als Sieger der Geschichte wähnen? Hier wird nicht berichtet, hier wird triumphiert. Doch Eiferertum tut einem Werk dieses Anspruchs schwerlich gut.
(Benedikt Hotze)
Zum Thema:
Berlin und seine Bauten
Teil 1: Städtebau.
Von Harald Bodenschatz, Jörn Düwel,
Niels Gutschow, Hans Stimmann
Gebunden, 472 Seiten,
35,2 x 30,8 x 3,8 cm, 98 Euro.
Dom Publishers, Berlin, 2009
ISBN 978-3938666425
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...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Zum Zweiten! | 23.04.2009 12:43 UhrKritik Verboten
Meine Kritik richtete sich an Herrn Hotze, der seine gebetsmühlenartigen Angriffe auf die Arbeit Hans Stimmanns seit Jahren wiederholt. Fahren Sie nach Berlin - erkennen Sie - da ist wieder Stadt entstanden - die Stadt Berlin ist zurückgekehrt. Dank ihm ist nicht irgendeine Allerweltsstadt - austauschbar mit Boston, Shanghai oder Singapur entstanden.