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01.01.1996

das doppelte und mehr. Ausstellungsbeitrag der Bundesrepublik Deutschland zur XIX. Mailänder Triennale 1996

Bücher im BauNetz


Von den Arten, sich eine Stadt zu erobern
Es gibt Städte, die machen es dem Besucher schwer. Wer sich ohne Stadtplan durch die Gassen einer fremden Metropole schlängelt, der sollte sich besser nicht darauf verlassen, sein gewähltes Ziel auch zu erreichen. Es mag aber sein, daß der Fremde auf diese Weise die unbekannte Stadt auf ganz eigene Art entdeckt und zu Beobachtungen kommt, die dem zielstrebig Voranschreitenden verborgen bleiben. „Wir verlieren das Interesse an den gewöhnlichen Dingen der Welt. Das macht uns zu Barbaren.“ sagt Václav Havel.

Kein Buch, eher eine Zettelwirtschaft
Das, was der Verlag Lars Müller als Dokumentation des deutschen Beitrags zur XIX. Mailänder Triennale vorgelegt hat, ist kaum ein Buch zu nennen. Schon das Blättern und Aufschlagen wird zum Problem, denn einen Buchrücken gibt es nicht. Etwa die Hälfte der 17 x 17 cm großen Seiten wurde rückwärtig eingeheftet und auf der (vermeintlich) rechten Seite gebunden: Dem bemühten Leser fällt nach Entfernen der Schutzhülle ein librettoartiges Gebilde entgegen. Um den „komparativ inszenierten Überblick“ geht es augenscheinlich nicht, statt dessen wünscht sich Ausstellungskurator Hans Höger den „dialektischen Diskurs zu Fragen der Zukunft“. Einig ist er sich darin mit den Gestaltern, die ebensowenig daran interessiert zu sein scheinen, uns einen Überblick zu gewähren. Kryptisch verzerrte Schriftzüge über wild kreischenden Bildern - worum geht es eigentlich? Man nimmt uns den Stadtplan weg und setzt uns in der Mitte der Stadt ab. „Im Banne der Gewohnheit identifizieren wir das, was wir täglich sehen, mit dem Wesen der Stadt an sich“, sagt Roland Rainer. Lassen wir uns also die Augen öffnen.

Wie dokumentiert man ein Experiment?
Entwürfe aus dem Koffer. Im Rahmen des Projekts „Tandem“ haben Studenten der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein in Halle an der Saale und der Ecole des Beaux Arts in Lyon Ideen für die jeweils andere Stadt entwickelt und sie in einem genormten Koffer auf der Triennale präsentiert. „Zwischenräume des Alltags“ sind dabei entstanden - ein subjektiver Stadtplan der Bewohner aus einem Netz intimer Beziehungen. Oder aber auch so konkrete Entwürfe wie ein „Waschkaffee“ oder eine Fahrrad-Leihstation. Auf jeweils einer Doppelseite wurden die Präsentationen immer aus der gleichen Perspektive fotografiert. Schade jedoch, daß nur in den seltensten Fällen die Gesamtansicht Sinn macht, zumal die meisten der gezeigten Arbeiten nur wenig mit dem sie einrahmenden Koffer zu tun haben. Da helfen die Detailaufnahmen auf den nachfolgenden Seiten schon weiter. Schade auch, daß die erläuternden Texte der Studenten für diese Veröffentlichung nicht noch einmal überarbeitet wurden.

Collage (City)
„Stadt ist dort, wo die Zeit ein kommerzielles Produkt geworden ist“, lehrt uns Ugo La Pietra in einem Aufsatz über Zentrum und Peripherie. Im mittleren Buch findet sich eine Fülle lesenswerter theoretischer Texte zur Situation der modernen Stadt unter gestalterischen Gesichtspunkten. Sie fügen sich zum Gesamtbild einer nachhaltig organisierten, kleinteiligen Stadt, in der „das erzählerische Element ... an der Stelle dessen [steht], wo früher das Ornament stand“, so Dieter Hoffmann-Axthelm. Neue Kommunikationswege, das veränderte Sozialverhalten, die ökonomisch bedingte Vergrößerung der Parzellenstruktur bieten die Chance für eine individuelle, flexible Stadtgestaltung. Die Städte müssen wieder eine bespielbaren Hülle bieten anstelle der steingewordenen Businesspläne, wieder einzigartig werden, eine Geschichte erzählen. „Architekten müssen endlich aufhören, immer nur in der Begrifflichkeit von Gebäuden zu denken“, sagt Hans Hollein.

Was wird mit den Büchern, wenn die Städte zu Texten werden?
Absicht war es wahrscheinlich nicht, daß die grafische Gestaltung des Buches ähnlich rüde mit dem Leser umgeht, wie die heftig kritisierten „Panzerglasportale“ mit ihren Bewohnern. Der Versuch der Kleinteiligkeit, das betont Unkonventionelle des Katalogs hat zu einem zwanghaften Anderssein geführt, das den Leser auf Distanz zu den Inhalten hält. Die anfängliche Neugierde auf ein vermeintliches System hinter dem fremdartigen Erscheinungsbild schlägt schnell in Enttäuschung über die Wahllosigkeit und Inkonsequenz der Gestaltung um. Ist das Experiment nun gelungen? Hat es die Sinne des Lesers berührt? War es aufregend, lehrreich oder doch nur anstrengend? „Niemand hat das Schlußwort.“ Sagt Michael Wilkens.
Thomas Görlich



Hans Höger (Herausgeber)
392 S., 150 Abb., deutsch/italienisch/französisch/englisch,
Verlag Lars Müller, Baden 1996
ISBN: 3-907044-03-7


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