Der große Unbekannte
Erblickt man das Buch auf dem Stapel der Neuerscheinungen, wirbelt einem das Cover die Titelwörter direkt ins Gesicht: Höhe x Breite x Tiefe. In diesem Verhältnis präsentiert Michael Mönninger 20 Projekte des in Berlin ansässigen Architekturbüros von Steffen Lehmann. Man muß sich schon gut auskennen, um den Namen des 34jährigen zuordnen zu können - das Buch sorgt für Aufklärung.
Projekte zum Zappen
Bei Ansicht des Inhaltsverzeichnisses möchte man fast zur Fernbedienung greifen. Der Blick des Lesers wird sofort von 27 aufgeregt montierten Tasten gefangen, die angeklickt werden wollen. Hinter jedem der Buttons verbirgt sich ein Teil des Programms: Einleitendes von Brian Hutton, der im Sinne Lehmanns Städtebau und Landschaft in Beziehung setzt; Ein anschließendes Interview zwischen dem Herausgeber und Lehmann, das in die architektonische Motivation des Büros einführt. Als „Hauptsendung“ werden 20 Projekte unter vier sehr unterschiedlichen, thematischen Schwerpunkten angeboten: Architektur in undefiniertem Feld, Stadt als letzte Hoffnung der Architektur, architektonische Freiräume durch kleine Objekte, Weiterbauen im Bestand. Knapp beschrieben wird jedes Projekt mehrseitig und in aufwendiger Drucktechnik illustriert. Den Sendeschluß markiert ein ausführlicher biographischer Appendix.
Denken in drei Kulturen
Daß der junge Architekt schon auf eine reiche Studien- und Berufserfahrung zurückgreifen kann, ist seine Stärke und das Fundament seines Selbstbewußtseins. Gleich drei verschiedenen Kulturkreisen fühlt er sich dabei aufs engste verbunden: An deutschen Fachhochschulen in Trier und Mainz studiert, wechselte er Mitte der achtziger Jahre nach London an die umtriebige AA und in das Büro von James Stirling. Daß auch Asien ihn so maßgeblich prägen sollte, ahnte er 18jährig bei seiner frühen Japanreise sicher noch nicht. Als Partner von Arata Isozaki gründete er zehn Jahre später zunächst eine Berliner Dependance und übernahm dann die Verantwortung für einen großen Projektteil am Potsdamer Platz. Selbstbewußt montiert er nach und nach die Schrauben des Isozaki-Schilds ab und sein eigenes an. Schon jetzt blickt er auf eine dichte und große Bandbreite innerhalb seiner Projekte zurück.
Starke Kompositionen
Lehmann will kräftige Gebäude in starken Kompositionen erzeugen. Durch Handskizzen und Simulationen wird versucht, dies auf Städtebau und Details zu übertragen - ob nun Wohnhäuser in der Rummelsburger Bucht, eine Recyclinganlage oder mehrere Bürokomplexe zur Projektierung kommen. An der Museumsinsel ist ein Bankenquartier im Bau, am renommierten Albertplatz in Dresden der Sitz der Volksbank.
Die Unvollkommenheit der Stadt
Auf diesem weiten Feld versucht Lehmann die Unvollkommenheit der Stadtoberfläche zu nutzen, der er durch seine asiatische Prägung einen hohen Stellenwert beimißt. Deutlich stellt sich sein Denken im Projekt für den Schloßplatz in Berlin dar, auf dem er ein Museum für 365 Tage vorschlägt. Den Treppenanlagen des Alten Museums stellt er am anderen Ende eines Platzteppichs einen gläsernen Treppenbau als Pendant gegenüber. Gefaßt wird die Anlage durch einen Ring mit 160 Metern Durchmesser, der als rampenähnlicher Weg entlang und durch die Ausstellungsgebäude führt. Das Buch spiegelt die Offenheit der Gedanken Lehmanns mit viel Tempo wider. Die Graphik übertrumpft leider so manchen Inhalt. Eine nachdenklichere und informativere Aufarbeitung steht somit für die Zukunft noch aus.
Steffen Rethfeld
Michael Mönninger (Herausgeber)
144 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen, Text deutsch / englisch,
Junius, Hamburg Berlin Dresden 1997
ISBN: 3-88506-050-7