Architekturdokumentation
léonwohlhage 1997: Preis des Design Zentrums Nordrhein-Westfalen, Deutscher Architekturpreis Beton, Deutscher Kritikerpreis für Architektur. Und ein Buch. Architekten, ausgezeichnet für Gedanken, Gebäude und Gestaltung – präsentieren sie wirklich schlicht „Bauten und Projekte“? Ja. Und dazu noch so, daß es eine Freude ist.
Bereits auf den ersten Blick ein schönes, ein ansprechendes Buch. Eines, in dem der Blick auf jeder Seite gern verweilt, ohne sich dabei zu langweilen: Die Art der Darstellung wird genutzt, um bestimmte Aspekte der Architektur hervorzuheben und zu verdeutlichen. Schnitte und Grundrisse werden dabei nicht als einzig essentielle Präsentationsart der Gebäude verstanden; Perspektiven zeigen farbige Raumkonzepte und Analysen, es sind Bleistiftskizzen von leichter Hand oder vollendete Darstellungen mit Licht und Schatten. Abstrakte Fotos ersetzen eine Skizze, anschauliche Abbilder des Hauses werden mit Aufnahmen des Bauprozesses kontrastiert. Die Dokumentation der Projekte ist sperrig, erschließt sich nicht auf einen Blick. Erst wenn jeder Text, jede einzelne der Abbildungen studiert ist, fügt sich die Fülle der unterschiedlichen Aspekte zu einem Gesamtbild zusammen.
Ausschnitte
Die Texte der Architekten erläutern den Entwurf und stellen das jeweilige Projekt in einen größeren Zusammenhang. Forschend nähern sich die Verfasser Themen wie Typologie, Reihung oder Transparenz, dem Verhältnis zwischen Objekt und Stadt oder Architektur und Spekulation. Die eigenwilligen Texte sind prägnant: Ein Satz genügt, um den Kern eines Kapitels aus Colin Rowes „Collage City“ zu vermitteln. Zur Erläuterung des Farbkonzepts für die Erweiterung der Renée-Sintenis-Schule in Berlin wird die Farbigkeit des Bestands so beschrieben, daß ein Gefühl für die Ausstrahlung der Gebäude aufkommt; die Analyse verweist hier bereits auf das eigene Konzept. In Klaus Behnkes einleitendem Essay hingegen vermißt man diese Klarheit. In einer scheinbar zwingenden Interpretationskette zeichnet er ein Psychogramm des Architekten als listigem Narr mit einem „integriertem Größenwahn“, der ihn befähigt selbstbewußt innerhalb-außerhalb der Gesellschaft zu handeln. Trotz eines ähnlichen Anliegens verliert dieser Text durch die absolute Bestimmtheit in Behnkes Argumentation jene undogmatische Selbstverständlichkeit, die léonwohlhages Aussagen so sinnfällig macht.
Genau untersucht
Die Architekten befassen sich mit Begriffen wie „Objekt“, „Transparenz“ oder auch „Lärmschutz-“ und „Abluftfassade“, ohne diese undifferenziert als Schlagworte zu verwenden. Vielmehr ist die Rede vom Objekt als „formale Überhöhung“ eines Ortes, der „seine gestaltende Kraft verloren hat“; vom Objekt als Zeichen im Dialog mit seiner „semantisch zurückhaltenden“ Umgebung, vom angeblickten und blickenden Objekt. Es geht um die fein beobachteten Metamorphosen von Fassadenmaterialien, den Wechsel in Tiefe oder Farbschattierung bei Glas oder typischem Glattputz. Oder um das essentielle Bedürfnis der Architekten, einen Grund für eine doppelschalige Fassade zu nennen, über die bekannte Wirkung auf das Raumklima hinaus.
Kein „Bilderbuch“
Auch der Text zum Farbkonzept der Schulerweiterung, interpretiert als „Gratwanderung zwischen langweiligem Grau-plus-beige-gleich-greige-Lösungen und einer individualistisch-terroristischen Palette,“ verstärkt eine wichtige Wirkung dieses Buchs: Das Wissen, die Veränderung der Farben in diesem Medium nicht erkennen zu können, und die Ahnung, daß die Auswahl der dokumentierten Fragmente bewußt anderes ausläßt, drängt den Leser zum Gebäude selbst. (Carola Ebert)
Friederike Schneider (Herausgeberin)
Text deutsch / englisch, Übersetzungen von Elisabeth Schwaiger
128 Seiten,
Birkhäuser, Basel Berlin Boston 1997
ISBN: 3-7643-5604-9