Eisberg-Strategie
Das vorliegende Buch über das in Münster ansässige Büro Bolles + Wilson präsentiert insgesamt 13 „Neue Bauten und Projekte“ der Jahre 1994 bis 1997, von denen sechs erst in jüngster Zeit fertiggestellt wurden. Damit ist diese Publikation die aktuellste über die Arbeit des jungen Büros. Die Projektpräsentationen werden durch zwei theoretische Texte von Julia Bolles und Peter Wilson ergänzt, die die Wechselwirkungen zwischen Medienzeitalter und Architektur erläutern. Aus den Essays wird ein für das Büro entscheidendes und in vielen Projekten ablesbares Entwurfsprinzip klar. Die ständige Präsenz der Medien, die tatsächliche Nähe überflüssig macht, und die zunehmende Technisierung führen nach Ansicht der Architekten zu einer Zersiedelung der Landschaft. Bolles + Wilson definieren die Typographie der Umgebung deshalb als „Korridore und Bewegungsknotenpunkte“, in denen ihre Architektur Ordnung schaffen und „dem Umfeld einen Maßstab geben“, soll. Sie verfolgen die „Eisberg-Strategie“: Ihre Gebäude setzen – umgeben von den schnellebigen virtuellen Medien – als Solitäre beständige Zeichen in der (Stadt-) Landschaft.
Elastischer Plan mit Kurven
Die Projekte sind ausführlich durch Grundriß-, Schnitt-, Ansichtszeichnungen und Fotos dargestellt. Die Westfälisch-Lippische Vermögensverwaltungsgesellschaft in Münster erfährt durch den Umfang der Präsentation besondere Beachtung. Das kompakte Verwaltungsgebäude hat eine solche „Überbewertung“ aufgrund seiner architektonischen Qualität aber durchaus verdient. Die Grundrisse wirken lebendig und spielerisch leicht, mit seiner geschwungen Form mit dem darüber schwebenden Dach schafft der Bau Aufweitungen und gelungene Platzsituationen. Der Bau lebt von der Qualität der Oberflächen, auf die Bolles + Wilson besonderen Wert legen: Je nach Lichteinfall verändert der hier verwendete flaschengrüne Ziegel seine Farbe.
Klarheit und Witz
Ein manchmal fast kindlich wirkender Humor spiegelt sich auch in den Landschaftsplanungen des Büros wider. Die Kai-Landschaft von Kop van Zuid in Rotterdam wird von Bolles + Wilson auf eine Art und Weise gestaltet, die schon in den grafischen Strichzeichnungen erahnen läßt, daß es Spaß machen muß, hier zu spazieren. Die im öffentlichen Raum geschaffenen Ereignisse greifen das Thema der zunehmenden Technisierung mit viel Witz und Geist auf. Demgegenüber steht eine große formale Klarheit, die ebenfalls zur Entwurfsstrategie von Bolles + Wilson gehört – gut ablesbar beim geplanten Luxor Theater für das gleiche Areal. Dieses Miteinander von Qualität und Funktionalität bis ins kleinste Detail und einer humorvollen gestalterischen Phantasie ist typisch für die Lehre der AA School of Architecture in London, wo beide Architekten ihre Wurzeln haben.
Aktuelle Werkschau
Das Buch besticht durch sein klares Layout, mit dem es sich von dem gerade sehr „angesagten“ grellen Durcheinander vieler aktueller Publikationen abhebt. Die qualitativ hochwertigen Abbildungen dokumentieren die Projekte ausführlich und anschaulich, was durch schöne farbige Skizzen und Perspektiven noch verstärkt wird. Mit deren Hilfe gelingt es den Architekten tatsächlich, einen Eindruck von ihren Entwurfsideen zu vermitteln. Die beschreibenden Texte sind leider sehr knapp und häufig nichtssagend. Sie werden einem Leser, der sich noch nie mit den komplexen Arbeiten des Büro Bolles + Wilson beschäftigt hat, diese nicht vermitteln können. Für Neugierige, die die aktuellen Projekte der Architekten kennenlernen möchten, ist die Veröffentlichung aber ein informatives und schönes (Bilder-) Buch, das die Vielschichtigkeit des bisherigen Werks erkennen läßt. Und über frühere, womöglich an manchen Stellen tiefergehende Publikationen kann sich der Leser schließlich im Anhang informieren... (Anne Thieme)
Leinen mit Schutzumschlag, 128 Seiten, 60 Farb-, 40 Duplex- und 90 S/W-Abbildungen, Text deutsch / englisch,
Birkhäuser, Basel Berlin Boston 1997
ISBN: 3-7643-5610-3
