Eigentlich erstaunlich, daß das Werk eines Architekten, der selbst alle Medien seiner Zeit zu nutzen wußte, nicht eher auf ein Medium unserer Zeit gebrannt wurde. Die CD-ROM „Le Corbusier – architecte artiste” kann die achtbändige Ausgabe des „Œuvre Complète“ zwar nicht ersetzen. Aber wer sie sich zum stolzen Preis von 198 DM gönnt, bekommt eine spielerisch zu konsumierende Einstiegsdroge, eine „Lexi-ROM“ mit Suchfunktion und Antworten auf viele Fragen zu L-C. – attraktiv für alle jene, die sich das Œuvre nicht leisten können oder keine 30 Zentimeter ihres Bücherregals dafür bereitstellen wollen. Daß die CD-ROM bislang nur in einer englisch-französischen Version im Handel ist, stört kaum, denn sehr lange Texte sind ohnehin nicht gespeichert, einführende Aufsätze, wie sie die Œuvre-Bände begleiten, fehlen ganz. Beim Studieren wichtiger Aufsätze und Publikationen Le Corbusiers muß man sich so oder so weiterhin mit herkömmlichen Medien behelfen.
Die CD-ROM bietet aber dafür das, was sie viel besser leisten kann als jedes Buch: zum Einstieg ein übersichtliches Hauptmenü, von dort aus eine Vielzahl interaktiv verzweigter Wege zu Informationen, Faksimileabbildungen von Plänen, Skizzen, Handschriften und Briefen, Fotos aus dem Familienalbum, Filmen, Interviews als Tondokumente und einer hilfreichen „Timeline“, die das Suchen nach Jahreszahlen erleichtert. Mit zwei Begleitheften wird zusätzlich eine gedruckte Biographie des Meisters sowie eine ausführliche notwendige Anleitung zum Nutzen der etwas sperrigen Buttons und Symbole mitgeliefert.
Ausblick auf seine Architektur
Der Start ist beschwingt mit dezentem Big-Band Sound unterlegt, es blinken fünf Porträts des Architekten vom Baby Corbusier bis zum visionär blickenden Guru. Vom Hauptmenü aus, das in Architektur und Städtebau, Kunst, Publikation, Biographie und Chronologie gegliedert ist, tut sich Fenster um Fenster auf. Blickt man dazwischen immer wieder einmal zur Einstiegsseite zurück, läuft dort eine Uhr mit, die die Länge der Sitzung anzeigt und die aufgerufenen Seiten festhält. Die Liste aller Architekturprojekte läßt sich wahlweise chronologisch, typologisch oder alphabetisch geordnet anzeigen. Über das Eingabefeld ist zusätzlich eine Textsuche möglich. Die einzelnen Projekte, ob Entwurf oder ausgeführt, sind in recht unterschiedlichem Ausmaß dargestellt. Immer aber wird im voraus angezeigt, wie viele Blätter jeweils gespeichert sind, so daß man sich nicht in endlosem Klicken verliert. Sucht man zum Beispiel die Immeuble Clarté in Genf (1930), dann sind dazu 17 Einzelblätter oder Fotos vorhanden, das Œuvre zeigt in diesem Fall ungefähr die gleiche Anzahl. Wählt man jedoch den „Plan de Paris” von 1937 oder den „Concours d'urbanisme” (Berlin 1958), so bleiben die Abbildungen im Vergleich zum Buch spärlich. Im Bereich des malerischen und graphischen Werks herrscht dagegen wieder informative Fülle. Nach Kategorien geordnet finden sich da Reiseskizzen, die Carnets, Skulpturen, Bilder und Lithographien. Für das publizistische Werk sprechen die Buchdeckel – ein Prinzip, das zum Teil schon so im Œuvre angewendet wurde – und kurze Klappentexte. Daß „Le Poème de l'Angle Droit“ (1955) vollständig wiedergegeben ist, entdeckt man leider nur durch Zufall. Es ist ein Manko der Benutzerfreundlichkeit, daß sich solche Schätze nur über eine aufwendige und zeitraubende Suche ohne genaues Ziel finden lassen. Die Rezensentin kapituliert an dieser Stelle vor der Fülle von Möglichkeiten und muß die Frage unbeantwortet lassen, ob noch weitere Bücher derart umfangreich dokumentiert sind. Mit dem Sammelverhalten des Nutzers rechnen die Produzenten, wenn sie die Funktion einer „Slide Show“ anbieten. Hier kann sich der passionierte User eine eigene Diafolge zusammenstellen und abspeichern.
Die Maß-Regler
Vergleicht man die graphische Gestaltung der digitalen und analogen Werkausgabe, so ist der CD-ROM der gewisse Charme des Uneinheitlichen und des über die Jahre Gewachsenen, den die Œuvre-Bände ausstrahlen, zugunsten eines geglätteten und modernen Layouts verloren gegangen. Allerdings macht dies durchaus Sinn, denn die Silberscheibe wird wohl hauptsächlich zur Erstinformation und zum effizienten Suchen genutzt werden, während fürs genüßliche Lesen und Forschen auch weiterhin auf gedruckte Quellen und das altmodische Medium Buch zurückgegriffen wird. Über der gesamten Produktion schwebt der Ernst der Fondation Le Corbusier, der Hüterin des Nachlasses, die sich selbst und ihre Aufgaben im Anhang vorstellt. Bei aller Seriosität macht die CD aber auch einfach Spaß: Wer kann sich das Schmunzeln verkneifen beim Blättern durch das über 150-seitige Fotoalbum, das Trouvaillen wie ein Bild der Taschenuhr Monsieur Jeannerets und sogar eine Nacktaufnahme in sich birgt? (Eva Maria Froschauer)
Herausgegeben von der Fondation Le Corbusier und Infinitum publications.
CD-ROM für PC und MAC, Mindestanforderung Windows 3.1 oder MAC OS 7.1,
avedition, Stuttgart 1997
ISBN: 2-9511823-0-9