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01.01.1998

Paul Baumgarten - Schaffen aus dem Charakter der Zeit

Bücher im BauNetz


Umfassend
So wirbt der Verlag: Mit der vorliegenden Publikation werde „die erste umfassende Darstellung der Projekte“ des Architekten Paul Baumgarten vorgelegt. Das ist hauptsächlich falsch und zugleich ein bißchen richtig. Falsch, weil es längst einen sehr verdienstvollen Baumgarten-Band mit Werkverzeichnis gibt, der 1988 in der Schriftenreihe der (West-Berliner) Akademie der Künste vorgelegt worden ist (und der im Vorwort der Autorin auch korrekt erwähnt wird). Richtig, weil die Neuerscheinung tatsächlich eine „umfassendere“ Untersuchung bietet - diese allerdings konzentriert auf einige der wichtigsten Werke des Architekten. Es handelt sich also um eine historisch-kritische Monographie, die ihre Thesen exemplarisch an bestimmten Schlüsselbauten des Architekten festmacht. Dies ist ein zulässiges, hier sogar erfolgreiches Verfahren, nur sollte man es auch korrekt benennen. Bei derart teuren und speziellen Büchern hat der Leser ein Anrecht darauf, im Klappentext keine mißverständlichen Anpreisungen im Marketing-Stil vorzufinden.


Echt
Doch um wen geht es hier eigentlich? Julius Posener nannte ihn „einen echten Architekten“: Paul G. R. Baumgarten (die zusätzlichen Initialen wurden von ihm selbst angeführt, um sich von einem etwas älteren Namensvetter zu unterscheiden) war ein bedeutender Vertreter der Moderne in Deutschland, der das Glück (oder das Pech) hatte, „zwischen die Epochen“ zu geraten. Um noch als Heroe der Goldenen Zwanziger in die Annalen eingehen zu können, ist er mit seinem Geburtsjahrgang 1900 um rund 15 Jahre zu spät geboren worden. Bruno Taut und Otto Haesler (beide Jahrgang 1880), Walter Gropius (1883) und Ludwig Mies van der Rohe (1886) hatten den Acker der klassischen Moderne bereits bestellt, als der junge Baumgarten noch im Atelier der gemäßigt modernen Berliner Architekten Mebes und Emmerich Wohnanlagen zeichnete. Aber anders als manche seiner älteren Kollegen mit ihrem zum Teil weniger bedeutenden „Spätwerk“ hat Baumgarten stattdessen die Architektur der Nachkriegsjahre entscheidend prägen können. Somit gehört er also eher zu der Generation von Egon Eiermann (1904), Hermann Henselmann (1905) oder Sep Ruf (1908). Wie diese hat Baumgarten in der Vor-Nazizeit bereits kleine Achtungserfolge im Sinne der Moderne erringen können, sein erstes bahnbrechendes Werk entstand jedoch erst nach der „Machtergreifung“: die Müllverladestation in Berlin-Charlottenburg (1934-36), ein kompromißlos moderner Industriebau im Sinne der Neuen Sachlichkeit.


Wohltuend
Der Konzertsaal der Berliner Hochschule für Musik (heute HdK), die Aufstockung des Berliner „Hotels am Zoo“, das Eternit-Haus auf der Interbau, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe oder die Erweiterung des Berliner Shell-Hauses von Fahrenkamp für die Bewag gehören zu seinen Hauptwerken in den fünfziger und sechziger Jahren. Die Untersuchung von Annette Menting liest sich außerordentlich anregend: Neben einem chronologischen Text, der sowohl Architektur- als auch allgemeine Zeitgeschichte einschließt, werden einzelne wichtige Bauten genauer untersucht. Dabei fällt wohltuend auf, daß die Autorin als gelernte Architektin besonderen Wert auf die Darstellung baukonstruktiver und statischer Lösungen legt - womit diese Architekten-Monographie weit über die oft rein formkritische Herangehensweise von Kunstgeschichtlern hinausweist.


Gerettet
Baumgartens Werk ist, anders als das einiger seiner berühmteren Kollegen, nicht allzu tief im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankert; ihr Bestand also tendenziell gefährdet. Bereits aus diesem Grund ist die Existenz eines solchen Buches von unschätzbarem Wert. Schon die Vorgängerpublikation von 1988 hat Baumgartens Müllverladestation indirekt „gerettet“: Gegenüber bestehenden Abrißplänen erfolgte im Erscheinungsjahr die Eintragung in die Denkmalliste und nachfolgend die Umnutzung als Architekturbüro durch Josef Paul Kleihues. Für Baumgartens vielleicht bedeutendstes Werk kommt solche publizistische Schützenhilfe allerdings zu spät: Der Wiederaufbau des Reichstags in den Formen einer nüchternen, sachlichen Moderne (1961-69) wurde im Zuge der neuerlichen Umbauten durch Norman Foster in den letzten Jahren restlos zerstört. Folgerichtig wird der Reichstag in Mentings Buch auch nur noch am Rande erwähnt. Mögen andere Bauten des Architekten Paul Baumgarten vor diesem Schicksal bewahrt bleiben. (-tze)


Annette Menting
Herausgegeben vom Landesdenkmalamt Berlin.
Beiheft 27 in der Reihe „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin“.
Gebunden, 17 x 24 cm, 320 Seiten mit 255 Abbildungen
Gebr. Mann Verlag, Berlin 1998
ISBN: 3-7861-1777-2



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