Die Planung und der Bau von Hochhäusern ist in den Niederlanden Anfang der achtziger Jahre zu einem aktuellen Thema geworden. 1982 erfolgte die Gründung des „Holländischen Rats für hohe Gebäude”, dessen Aufgabe es bis heute ist, Investoren, Architekten und Manager für das Bauen hoher Häuser zu begeistern. Mit Erfolg: Die einleitenden Worte des Buches beschreiben einen „unglaublichen Popularitätsschub für die Idee, in hohen Häusern zu wohnen und zu arbeiten“.
Bei einem gestiegenen Bedarf an Wohnungen und Büroflächen und gleichzeitig begrenzten Flächenressourcen – Holland gilt heute als das am dichtesten besiedelte Land in Europa – liegt das Hochhaus als sinnvoller Haustyp zur innerstädtischen Nachverdichtung und identitätsstiftenden Neubebauung ehemaliger Brach- und Industrieflächen nahe.
Die Höhe der 50 vorgestellten Projekte liegt zwischen 50 und 157 Metern. Zum Vergleich: Die Höhe des Sears Tower in Chicago beträgt 482 Meter, die des geplanten Millenium Tower in Tokyo 840 Meter. Von wenigen Ausnahmen abgesehen zeigt sich ein Spektrum eher durchschnittlicher Entwürfe, die auch in jedem anderen Land der Welt stehen könnten.
Nur in Ansätzen sind außergewöhnliche Grundrißlösungen, innovative Fassaden oder eine intensive Auseinandersetzung mit dem Ort zu finden. Man vermißt die gegenwärtig von einer jungen holländischen Architekturgeneration ausgehende Lust am Experimentieren und Provozieren. Das Buch bewegt sich – vor allem bei der Vorstellung der Bürohochhäuser – hart an der Grenze, eine Broschüre mit Beispielen investorenfreundlichen Bauens zu sein.
Positiv hervorzuheben sind zwei Projekte von Wiel Arets in Amsterdam und Rotterdam. Das Wohnhochhaus auf der KNSM-Insel, fertiggestellt 1995, setzt sich aus vier eng beieinanderstehenden Türmen zusammen und besticht durch sein monolitisches Äußeres sowie die fein strukturierte, schwarze Fassade aus Betonfertigteilen.
Das Projekt von Neutelings Riedijk Architecten in Amsterdam, Fertigstellung voraussichtlich 1998, ist geprägt durch eine skulpturale Hülle aus Faserzementplatten und einem einzigen, um die Ecken laufenden Fensterformat. Der Baukörper besitzt mehrgeschossige Einschnitte und faßt 68 Wohnungen in 20 (!) Variationen. Zu einer gestaltprägenden, konstruktiven Lösung sind die Architekten Benthem und Crouwel für ihr Bürohochhaus in Den Haag gekommen: Das 1996 fertiggestellte Gebäude steht über einer Straßenunterführung, zwei mittig angeordnete Kerne sorgen für größtmögliche Freiheit in der Grundrißgestaltung. Erwähnenswert sind außerdem Projekte von Mecanoo architecten bv. in Den Haag und de architectengroep in Amsterdam.
Nach vier einleitenden Essays werden die einzelnen Projekte auf jeweils einer Doppelseite mit Fotos, Grundrissen, Schnitten sowie eine Projektbeschreibung und den wichtigsten Baukenndaten vorgestellt. Die zum größten Teil bereits realisierten Projekte wurden für die vorliegende Publikation von drei Fotografen abgelichtet. Besonders gelungen sind die Aufnahmen von Kim Zwarts, die sich in ihrer Atmosphäre und Eigenständigkeit gegenüber den anderen Abbildungen abheben. In ihrem Ausdruck und ihrer Farbigkeit erinnern sie an Architekturfotografien von Thomas Ruff oder Andreas Gursky.
Das Buch ist nicht mehr und nicht weniger als eine Bestandsaufnahme, ein Abbild der Realität. Leider wurde die Chance verpaßt, durch die Auswahl der einleitenden Texte und der Projekte einen Beitrag zur Diskussion zu leisten, wie sowohl Innenleben als auch äußere Gestalt eines Hochhauses am Ende dieses Jahrhunderts beschaffen sein könnten.
(Tobias Wenzel)
Egbert Koster, Theo van Offelt (Herausgeber)
Paperback, 160 Seiten, Text englisch / holländisch, 150 Farb- und 85 S/W-Abbildungen, Dfl 85
NAi Uitgevers / Publishers, Rotterdam 1997
ISBN: 90-5662-071-1