Wenn es so etwaswie den Prototyp eines Architekturführers gibt, dann folgt dieser hier durchaus einem solchen Modell. Erstens: Er ist dick und schwer, nicht nur damit er so ordentlich im Reisegebäck drückt, sondern auch dick und schwer, weil das allemal umfassend wirkt. Eine „dichte Packung” Wien, meinen die Autoren. Die Absicht, 500 Bauten einer Hauptstadt vom Jahr 1161 an zu zeigen, ist gut und angemessen, wohl aber niemals erschöpfend.
Zweitens: Er ist aktuell - so aktuell, wie ein solches Verzeichnis eben sein kann. Erst im letzten Jahr erschienen, ist der Führer nun bereits in der zweiten, korrigierten und ergänzten Auflage zu kaufen. Eine Stichprobe dazu, der letzte Eintrag ist aus dem Jahre 1997: das Kiang III, eines dieser feinen, chinesischen Restaurants, gestaltet von Helmut Richter. Sicher, es gäbe immer noch Aktuelleres und vor allem Jüngeres, und Projekte könnte man doch auch aufnehmen. So wie es Architekturführer, die zum Beispiel aus Berlin kommen, tun. Dort zeigt man längst nicht mehr nur das, was sich abzudrucken wirklich lohnt, was sich nach erfolgtem Gebrauch bewährt und ausgezeichnet hätte. Nein, was bundesdeutsche Hauptstadtarchitektur werden will, muß eben schon Jahre in die Zukunft weisen. Wien ist anders, Vorauseilendes schickt sich scheinbar nicht.
Drittens: Der Führer ist drittens gescheit gegliedert - auch ein Bestandteil des Prototypischen. Ganz zu Anfang ist Einführendes zu 2000 Jahren Stadtgeschichte zu lesen, so dicht und knapp es eben geht. Dann zeigt ein „gschmackiges” Panorama Wiener Architektur - eine Fotoschau mit brillanten Farbbildern von Georg Riha - und läßt einem Baukunst im Munde zusammenlaufen. Auf nach Wien! Vom 1. bis zum 23. Bezirk plus Wien und Umgebung, gemäß der politischen Struktur der Stadt, ist der Hauptteil gegliedert und mit sehr guten Karten versehen. Dazwischen jeweils ein sehr wienerischer Kunstgriff: Namhafte Architekten der Stadt geben ihre besonderen Favoriten unter den Gebäuden als Anregung preis. Wenn Sie sich daran orientieren wollen, was Hans Hollein im 1. Bezirk unter anderem selbstgefällig empfiehlt - das Haas-Haus natürlich - oder Franziska Ullmann - mehr neutral, den Steffl nämlich -, dann können Sie auch diese Tips zum Ausgangspunkt ihrer Tour nehmen. Es folgen Anmerkungen zur Wiener Zeitgeschichte, zur Nachlese mit wehen Füßen abends im Hotel, und letztlich ein Register, das von den Jahreszahlen der Errichtung über die Namen der Architekten zurück in die Bezirke weist.
Viertens: Die Erläuterungstexte zu den einzelnen Objekten sind sehr konzentriert und so gerafft, daß sie manchmal mehr Fragen offen lassen müssen, als sie beantworten könnten. Und sie sind, wie sollte es auch anders sein, am „opus magnum“, dem mehrbändigen Führer von Friedrich Achleitner orientiert - gestattet sei es. Die Erreichbarkeit und die Verkehrsanbindung der gezeigten Bauten sind genauestens mit angeführt, was den Stadtbesuch enorm vereinfacht. Eine noch bessere Idee sind die Angaben zu den grundsätzlichen Besichtigungsmöglichkeiten der Innenräume. Es läßt sich entnehmen, ob öffentliche wie private Gebäude ausnahmslos unzugänglich, eventuell nach Vereinbarung zu betreten oder nur zu bestimmten Zeiten geöffnet sind. Das erspart Besuche, die ansonsten „für die Würscht“ wären. Jeder Eintrag, bis auf die einzeiligen Ergänzungen, ist zudem einheitlich in Schwarzweißbildern und nicht immer, aber oft, mit Grundrissen und Axonometrien vorgestellt.
Fünftens: Gestatten Sie ein paar Empfehlungen - Bauten, die ich vorlauterweise noch nicht einmal selbst gesehen habe, aber die ich immer schon gern einmal besuchen wollte: Die Pfarrkirche St. Florian von Rudolf Schwarz steht im 5. Bezirk, in Margareten, und hat auch hierzulande eine Debatte zur Nachmoderne im allgemeinen und zum Sakralbau im besonderen ausgelöst. Sie wurde 1961 als Ersatz für einen Barockbau errichtet. Reisen Sie zum Beispiel mit der Bahn aus Berlin nach Wien, dann kommen Sie am Südbahnhof an und könnten gleich in der Nähe das Umspannwerk der Architekten Eugen Kastner und Fritz Waage besuchen, ein beeindruckende Gebäudemaschine von 1928. Etwas abgelegen in Simmering am Leberberg, steht ein sehenswerter Repräsentant der neuen Schulen aus dem „Schulbauprogramm 2000” von Marta Schreieck und Dieter Henke (1994). Im Süden dann das Arbeitsamt Liesing von Ernst Plischke, ein bemerkenswerter Wiener Bau nach feinster Bauhausart (1932), der erst in diesem Jahr von Hermann Czech renoviert wurde. Und bei einer Melange im Ron con Soda (Eichinger oder Knechtl) erzählen Sie mir vielleicht bei Gelegenheit, wie Ihnen Wien diesmal gefallen hat.
(Eva Maria Froschauer)
August Sarnitz
Herausgegeben von der Stadtplanung Wien und dem Architektur Zentrum Wien.
Zweite, korrigierte und ergänzte Auflage, broschiert, 389 Seiten, ca. 850 zum Teil farbige Abbildungen und Karten
Springer-Verlag, Wien New York 1998
ISBN: 3-211-83159-2