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01.01.2000
Springers Architektur Führer
20. Jahrhundert: Frankreich
Bücher im BauNetz
Mon Dieu! Jahrzehntelang gab es in deutscher Sprache überhaupt keine brauchbaren Führer zur Architektur der Moderne in Frankreich, und nun erscheinen Schlag auf Schlag gleich zwei davon: Wenige Wochen vor dem zweibändigen Projekt aus dem wissenschaftlichen Springer-Verlag, um das es hier geht, erblickte das einbändige Werk von Birkhäuser das Licht der deutschsprachigen Welt - jenes, wie immer, in der gewohnten Machart der italienischen Electa-Führer. Das Birkhäuser-Buch besprach der Rezensent kürzlich an anderer Stelle; sein Fazit lautete dort: Wartet noch mit dem Kauf, bis der Springer-Guide vorliegt, damit ihr wenigstens vergleichen könnt. Wir hatten auf Grund der Verlagsankündigung den Anfangsverdacht, dass der "Springer" besser sein könnte. Gut, dass wir inzwischen verglichen haben: Der "Springer" ist leider keineswegs besser, nicht mal sehr viel anders.
Architekturführer sind für reiselustige Architekten eine wichtige Hilfe, um auf Exkursionen wichtige Bauten dingfest machen, in die Reiseroute einplanen und vor Ort auffinden zu können. Letzteres kann der "Springer" recht gut: Zu jedem aufgeführten Objekt gibt es eine für Autofahrer gedachte Anreisebeschreibung, die offensichtlich mit den tatsächlichen Beschilderungen und verkehrstechnischen Gegebenheiten vor Ort abgeglichen wurde. Ein großer Pluspunkt für jeden, der z.B. schon einmal in der Zentralmassiv-Kleinstadt Firminy eine halbe Stunde vergeblich herumgekurvt ist, um endlich die dortigen Corbu-Bauten zu finden. Bei näherer Durchsicht derjenigen Stichproben, zu denen sich der Rezensent ein Urteil erlauben kann, fallen ihm allerdings auch sinnentstellende Ungereimtheiten auf, die möglicherweise auf die Übersetzung zurückzuführen sind - aber sei‘s drum: Diese praktischen Hinweise können vor Ort bedeutende zeitverkürzende Wirkungen haben. Ebenfalls kann die Angabe von Telefonnummern und Öffnungszeiten hilfreich sein. Halten wir fest: Bei den nackten "Nutzwert"-Informationen hat der "Springer" die Nase leicht vorn.
Ein weiterer Anfangsverdacht "pro Springer" bezog sich auf die Vermutung, durch die Zweibändigkeit und die sinnvolle Auslassung von Paris - für Paris hat man eh schon mindestens einen der einschlägigen Führer im Schrank - könnte sich die Anzahl der aufgenommenen Objekte gegenüber Birkhäuser erhöhen. Dies ist jedoch nicht unbedingt so. Springer braucht pro Eintrag meist eine Seite, wo sich Birkhäuser mit durchschittlich einer halben begnügt. Wir haben den Vergleich probehalber für Lyon gezogen: Birkhäuser bringt für das eigentliche Stadtgebiet (ohne selbständige Vorort-Gemeinden) 15 Objekte, Springer hingegen nur elf; davon sind nur sieben in beiden Büchern parallel vertreten. Bei Springer tendiert die Auswahl-Gewichtung etwas stärker zu aktuellen Bauten der letzten zehn Jahre, während Birkhäuser eher zu den Klassikern neigt.
In keinster Weise herausheben konnte sich Springer in den eigentlichen Kerndisziplinen eines solchen Führers: bei den Texten und vor allem den Fotos.
Die Texte sind rein beschreibend, zudem oft schrullig-ahnungslos übersetzt: Hier hat kein Fachlektor mehr gewissenhaft gegengelesen. Eine architekturhistorische Bewertung fehlt völlig. Wo der "Birkhäuser" Eigennamen oft unnötig eindeutscht, da bleibt Springer streng frankophon: Soll der Leser doch selbst herausfinden, dass "Sapeurs Pompiers" (in Chamalières) die selbe Bauaufgabe ist wie "Caserne des Pompiers" (in Bordeaux).
Eine gelinde Frechheit sind die Fotos. Während bei Birkhäuser noch ein munteres Mischmasch aus Profi-Fotos und schiefen Laien-Knipsereien angeboten wird, die aber immerhin halbwegs kontrastreich abgedruckt sind, bestand bei Springer offensichtlich eine Verpflichtung gegenüber den damit hoffnungslos überforderten Text-Autoren, durchgängig eigene Fotos zu liefern. Und dies führt folgerichtig zu einer indiskutablen Nicht-Qualität, die nicht nur permanent aus schiefen Horizonten und krass stürzenden Linien besteht, sondern vor allem auch bei etlichen Objekten nur zu aussagearmen Detailaufnahmen gereicht hat.
Als ob dieses Werk damit nicht schon genug entwertet worden wäre, setzen die Buchgestalter noch einen drauf und hinterlegen alle Schwarzweiß-Fotos aus modischen Gründen mit einem roséfarbenen (Süd) bzw. gelben (Nord) Fond: Die eh schon soßigen Bilder verlieren damit noch einmal deutlich an Kontrast. Dass man dann noch den Ortsnamen rot in rosa bzw. gelb in gelb (!) vertikal (!) in die Bilder klinkt, setzt dem ästhetischen Desaster noch zwei Tüpfelchen auf das "i" auf. Mon Dieu!
(Benedikt Hotze)
Thomas Pichlau, Serena Melgari
Zwei Bände, Paperback, 330 S. (Norden), 285 S. (Süden), 350 Abb. (Norden), 250 Abb. (Süden)
Springer, Wien New York 2000
ISBN: 3-211-83341-2 (Norden ohne Paris); 3-211-83342-0 (Süden ohne Paris)
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