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14.01.2016
Die 100 wichtigsten Dinge
Bücher im BauNetz
Was wären wir ohne Feuer oder ohne Licht – was wäre der heutige Mensch ohne Smartphone und Internet? „Erst Dinge ermöglichen uns, so zu leben, wie wir es tun“, schreibt das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ in seinem Vorwort zum Buch „Die 100 wichtigsten Dinge“. Ende letzten Jahres hat es diesen ambitionierten Index zusammengestellt und versammelt dort in umgekehrter Reihenfolge die eben „100 wichtigsten Dinge“: von Z wie Zeiger bis A wie Atom.
Es beginnt wichtig: No. 6 ist der Vertrag, die „Grundlage und Negation jeglichen sozialen und ökonomischen Vertrauens“. Mit No 8. folgt die Tür: „Der Mensch, der Haus-, Auto- oder Kühlschranktüren kopflos zuschlägt und zugleich vornehmlich durch Glas-, Dreh- oder automatische Schiebetüren wandelt, verlernt zivilisierte Umgangsformen mit abgeschlossenen Räumen sowie das Wahrnehmen von Innen und Außen“. Das Fenster (No. 78), so Holger Liebs, werde hingegen „gerne von Architekten vergessen“.
Absurd scheint das wichtigste Ding No. 11: Teer, der heute so gut wie kaum noch vorkomme. „Vermutlich ist aus diesem Grund noch niemand darauf gekommen, ein Gebäude ganz aus Teer zu bauen. Statiker müssten berechnen, was dafür notwendig wäre“, lautet die Schlussfolgerung, die schwer nachvollziehbar bleibt. Der Diamant (No. 84) sei das „Ding mit den wenigsten Eigenschaften“, die Rakete „ein Eis auf Stiel“ fabuliert Sophie Hunger (No. 38) und zur Cigarette (No. 86) heißt es: „Wer raucht, hat recht. Wer Cigaretten raucht, hat Zeit.“
Ist dieses Buch vielleicht ein Scherz? Nein. Archaische Dinge wie Feuer (No. 76), Ball (No. 94) und Fell (No. 79), der „unerotische Bruder des Pelzes“, finden sich auch in dem Kompendium. Und der Stock (No. 16) sei ein „Urding erster Ordnung“, gefolgt vom Stift (No. 17), der „als genus proximum des Pinsels oder auch umgekehrt“ das leichteste Ding sei, „das Gedanken in Materie umwandeln und archivieren kann“. Oder doch? Das Brett (No. 89) nämlich wurde angeblich „1998 von Rafael Horzon in Berlin erfunden“, schreibt Rafael Horzon. Ulf Poschardt meint: „Reifen sind schwarz und schön. Nur schmale nicht. (No. 37). Und Claudius Seidl unternimmt den Versuch einer Unterscheidung zwischen Servietten (No. 26) aus Stoff oder Papier. Ist das nicht ermüdend?
Für den Beitrag über das Podest (No. 42) wird Franz Kafka zitiert, Anne Philippi lobt die Palme in ihrem Text über die Pflanze (No. 43) und ohne das Pedal (No. 44) sei die Moderne nicht denkbar gewesen, meint Jan Dress. Peter Richter philosophiert über Styropor (No. 14): Eetwas, in das Kinder gern ihre Fingernägel bohren – heute wird es in Deutschland gern als Dämmmaterial für Häuser verwendet.“ In den USA hingegen als Verpackungsmaterial für Bier.
Es geht auch um Beziehungen: Der Stecker (No. 20), so schreibt Nils Minkmar, werde verehrt und geliebt, das Kabel hingegen gehasst. Vielleicht ein Grund, warum das Kabel es nicht in diese Sammlung geschafft hat, das Internet (No. 59) aber schon. Leider steht dazu nur, dass man „Die 100 wichtigsten Dinge“ auch über das Internet bestellen kann. Ein paar Worte mehr zur Entstehung, Entwicklung und Struktur, zu Nutzung und Einfluss auf die Gesellschaft wären doch Pflicht gewesen. Gleiches gilt für das Ding No. 87, das Buch, das ebenfalls nur selbstreferentiell betrachtet wird. Schade!
Man liest über Spiegel (No. 22), Schilder (No. 29) und den Sitz (No. 23) – aber kein Stuhl, kein Tisch, kein Bett werden in diesem Buch erwähnt und auch kein Telefon. Auto, Sofa, Fernseher müssten doch die Top Five der meisten Bundesbürger anführen. Aber auch diese drei Dinge werden vom IFZ ignoriert. Das Instrument (No. 60), Gürtel (No. 68), Geschenk (No. 71), Fax (No. 80) und Draht (No. 82) sind vertreten, auch Schiff (No. 30) und Schiene (No. 31): „Traurige Tropen, glückliche Gleise“, sowie Schaum (No. 32) sind vertreten – letzter mit einem Reim von Peter Sloterdijk: „Einziger Aggregatzustand, den die Moderne erfand“.
Bei so vielen Dingen darf ein wenig Kapitalismuskritik nicht fehlen: Während der Kredit (No. 56) als „profaner Ausdruck des Glaubens“ beschrieben wird, verwundert ein Ding dieser Auflistung besonders: Müll (No. 51). Doch ist Müll als Ding sicher eins der besten Symbole unserer Zeit – noch mehr als das Internet (No. 59). Und Schalen (No. 33) können als „Primzahl der Dinge“ wichtige Dinge und somit die Welt auf Dauer ins Gleichgewicht bringen (vgl. Steven Geil: The Leave of Live, 1982). Daniel Kehlmann erinnert sich in seinem Essay „Vom Bestehen und Fortgehen der Dinge“ an den Stiefelanzieher seiner Mutter und daran, wieviele Dinge ihm in den letzten 40 Jahren verloren gegangen sind. Den hässlichen Stiefelanzieher von Kehlmanns Mutter gibt es immer noch.
Welcher Wert und welches Wesen liegen einem Ding, einem Objekt, einem Produkt zugrunde? Diese Frage wird nicht immer beantwortet. Alle 100 Dinge sind Objekte, die jeder kennt – man erfährt wenig Neues. Was dieses Buch aber kann: Einen Denkanstoss geben. Und uns daran zu erinnern, was alle Dinge von uns Menschen unterscheidet. Denn auch wenn sie ebenso vergänglich sind wie wir: Sie leben nicht. (jk)
Die 100 wichtigsten Dinge
Institut für Zeitgenossenschaft IFZ
Hrsg. Timon Karl Kaleyta, Tilman Ezra Mühlenberg, Samira El Ouassil, Martin Martin Schlesinger, Fotografien von Mischa Lorenz, Gestaltung von Langesommer – Atelier für Grafikdesign und Typografie
Hatje Cantz, 2015
Deutsch, 256 Seiten, gebunden
20 Euro
www.hatjecantz.de
Zum Thema:
Valerio Olgiati, Ludwig Leo und OMA: Mehr Bücher im BauNetz
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