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23.11.2015

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Karl Scheffler: Berlin. Ein Stadtschicksal

Bücher im BauNetz


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Von Jeanette Kunsmann

Man kennt diese polemische Streitschrift, und man kennt sie doch nicht: Gemeint ist Karl Schefflers scharfe Analyse der Kolonialstadt Berlin, die mit dem so oft schon zitierten, berühmten Satz endet: „Über die Tragik eines Schicksals, das das aus einer wendischen Fischersiedlung zur mächtigen Millionenstadt und Reichshauptstadt emporgewachsene Berlin dazu verdammt: immerfort zu werden und niemals zu sein.“ Was aber steht auf den 220 vorigen Seiten?

Der Berliner hatte keinen guten Stand bei Karl Scheffler und auch bei Goethe nicht, der „die Berliner dieser Zeit als ein verwegenes Geschlecht“ titulierte. „Reich an Interesse, aber nicht begeisterungsfähig, überall immer mit seiner bilderlosen Phantasie die Materie berührend; ohne natürliche Anlage für das zwecklos Schöne, aber tauglich für jede Arbeit fast, die der Tag fordert“, mit diesen Worten beschreibt der 1869 geborene und 1951 verstorbene Publizist Scheffler die Bewohner Berlins.

Berlin: Millionenstadt, die immer in weiter Ferne neben den anderen Städten lag und es heute immer noch tut. Reichshauptstadt des Militär- und Soldatenstaates Preußen. Kolonialstadt, in der sich von Böhmen bis Franzosen alle möglichen Völker sammelten. Berlin: ein Labor mit wechselnden Pionieren. Die Kirchen hässlich, die alten Berliner Kirchen „unsagbar kunstlos“ (Scheffler), und die Renaissance, die so vielen Städten im Reich bürgerlichen Charakter verliehen habe, „ist an Berlin dann spurlos fast vorübergegangen“. Weitere Kapitel offenbaren die fehlende Idee einer Stadtplanung, die städtebauliche Fehlplanung und Phantasielosigkeit von Andreas Schlüters Schloss („Schinkel ist berlinisch, Schlüter ist es nicht“), die Dualität der Spreestädte Cölln-Berlin oder auch die Eß- und Trinkkultur Berlins („Was Einem da vorgesetzt wird und wie es geschieht, das vertreibt den ärgsten Hunger.“) In vielen Punkten ist sich Berlin also offenbar treu geblieben.

1910 geschrieben und publiziert, erstaunt immer wieder aufs Neue, wie aktuell Schefflers Beobachtungen und Analysen geblieben sind. Teils ist das höchst amüsant, manchmal redundant und teils etwas ermüdend. Aber nach einer lockeren Wochenendlektüre hat man dieses Buch, das der Suhrkamp Verlag jetzt in neuer Gestaltung herausgegeben hat, liebgewonnen. Das Vorwort von Florian Illies erweist sich dabei als eine gelungene Ergänzung, die den Text mit der Gegenwart verknüpft und auf eine weitere Ebene hebt. Und ist bei Scheffler das Ende besonders stark, schafft Illies dies mit seinem ersten Satz: „Die letzte Chance, auf Berlin ganz zu verzichten, wurde 1648 vertan.“ So viel Tragik, so viel Drama, so viele Probleme. Man möchte diese Stadt in den Arm nehmen und trösten, muss man aber gar nicht.

Besser sollte man dieses Buch schnell übersetzen und auf Englisch, Spanisch und Französisch herausgeben. Es hilft nicht nur dabei, Berlin – und gleichzeitig auch andere „Großstadtschicksale“ wie Paris, Wien oder London – zu verstehen, man begegnet der Stadt nach Schefflers Worten mit anderen Augen. Und das über 100 Jahre nach der Erstausgabe.

Karl Scheffler:Berlin. Ein Stadtschicksal
Mit einem Vorwort von Florian Illies
Suhrkamp, 2015, Hardcover, 222 Seiten
21,95 Euro

www.suhrkamp.de



Fotos: © Suhrkamp Verlag AG


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

1

barbara klimke | 06.11.2016 10:36 Uhr

Berlin

Städte, die 1000 Jahre länger existieren, immer Mittel-
punkt eines Landes waren, in den meisten Fällen eines
entschieden reicheren Landes sind wohl nicht vergleichbar. In vielen Punkten hat der Autor recht in seinem ansonsten bösartigen Buch. Ich habe mich schrecklich geärgert und bedaure den Kauf.
Ein Berliner Arbeitermädchen aus Moabit, als es noch nicht hip war.

 
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