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14.10.2015

Wiederentdeckt: Der Architekt Fritz Nathan

Bücher im BauNetz


Von Annika Wind

Fritz Nathans „Tempel der Trauer“, sein Neuer Jüdischer Friedhof in Frankfurt wirkt zeitlos. Regelrecht archaisch. Ein kubisches Ensemble aus Klinker, dessen schlichte Erhabenheit betont: Hier sollen die Menschen „unterschiedslos betrauert, bestattet und der Erde übergeben“ werden. So hatte es sich sein jüdischer Architekt 1928 gewünscht. Und einen der bedeutendsten Sakralbauten der Weimarer Republik geschaffen. Dennoch war Nathan (1891–1960) lange Zeit vergessen. 1940 hatte er emigrieren müssen und sich in den USA zwar schnell als gefragter Synagogenbauer etabliert. Doch an die Vielfalt seiner anspruchsvollen Aufträge von Geschäftshäusern und Sakralbauten bis zu Villen reichten die späten Erfolge in den USA nicht mehr heran: Er geriet in Vergessenheit.

Leider ein Schicksal vieler jüdischer Architekten – von denen Andreas Schenk nun eines aufarbeitet. Mit einer sorgfältigen Monografie, die am morgigen Donnerstag im Birkhäuser Verlag erscheint, holt er Nathan ein Stück weit in den Kanon der deutschen Architekturgeschichte zurück. Als ein Protagonist des Neuen Bauens, der Qualitätsvolles zwischen Luxemburg und Mannheim, Frankfurt und New York schuf. Bis hierher reicht die Spurensuche, auf die sich Schenk mit dem Fotografen Roland Behrmann begeben hat. Das Besondere: Beide haben im Leo-Baeck-Institut nicht nur Nathans Nachlass gesichtet und versammeln nun Zeichnungen, Pläne und Architekturaufnahmen von namhaften Fotografen wie Ilse Bing oder Hermann Collischonn. Behrmann hat auch Gebäude in Luxemburg, Deutschland und in den USA ausfindig gemacht und fotografiert.

Das Buch würdigt Nathan, zeichnet seine Studienzeit in Darmstadt und bei Theodor Fischer in München nach und zeigt auf, was ihn von Avantgardisten unterschied: Er dachte seine Gebäude aus der Funktion heraus, setzte aber eher auf eine Moderne, die Bewährtes neu interpretierte. Das zeigt sich bei den zahlreichen Villen, die er vor allem in Frankfurt schuf – und in denen er oft die Gesamtkonzeption vom Türgriff bis zur Raumausstattung selbst übernahm. Wesentlich kühner sind seine Kaufhäuser in Luxemburg, Hanau, Frankfurt oder Mannheim: Für „weitgespannte, stützenlose Räume“ nutzte er den Stahlskelettbau und akzentuierte seine markanten Entwürfe mit rhythmischen Fensterbändern und kraftvoll hervortretenden Gesimsen, die sich um die Gebäudeecken zogen und eine höhere Geschosszahl vortäuschten, als tatsächlich vorhanden war. So wie beim Mannheimer Geschäftshaus Samt und Seide (1926/27), das Nathan später noch um das Deutsche Beamtenwarenhaus (1928/29) und ein Kino mit über 1000 Plätzen erweiterte. Spektakulär war die fast vollständige Verglasung der Front – am Abend ließ der Turm Blicke in sein leuchtendes Innere frei.

Auch wenn man Nathan oft mit Erich Mendelsohn verglich – an dessen Kompromisslosigkeit reichte er nie heran. Was aber beide verband, war der Wunsch nach einer neuen Formensprache und das Schicksal, das einige ihrer Bauten den Krieg einigermaßen schadlos überstanden und erst danach abgerissen wurden. 1960 fiel Mendelsohns Kaufhaus Schocken in Stuttgart, sieben Jahre später Nathans Mannheimer Geschäftskomplex. Auch sein dortiges Israelitisches Altersheim, das letzte große Bauprojekt der jüdischen Gemeinde vor dem Holocaust, verschwand erst 2010. Sein Jüdischer Frankfurter Friedhof jedoch hat sich erhalten – als eindrucksvolles Kulturdenkmal, das über die Jahrzehnte eines blieb: irgendwie zeitlos.

Andreas Schenk: Der Architekt Fritz Nathan (1891-1960):
Sein Leben und Werk in Deutschland und im amerikanischen Exil

Mit einem Beitrag und Fotografien von Roland Behrmann
Birkhäuser Verlag, Oktober 2015
176 Seiten, 59,95 Euro

www.degruyter.com


Zum Thema:

Fritz Nathans Nachlass liegt im Leo Baeck Institut in New York, die dortigen Bestände sind im Internet abrufbar: www.lbi.org


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Fritz Nathan in seinem Frankfurter Büro in den 20er Jahren. Bild: Leo Baeck Institut, New York

Fritz Nathan in seinem Frankfurter Büro in den 20er Jahren. Bild: Leo Baeck Institut, New York




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