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06.06.2014

Arne Schmitt: Geräusch einer fernen Brandung

Bücher im BauNetz


Arne Schmitt einen Architekturfotografen zu nennen wäre wohl verkürzt. Zwar beschäftigt sich der 1984 geborene Fotograf immer wieder mit Architektur, allerdings wählt er seine Gegenstände nicht nur nach formalen Kriterien aus, sondern ist vorrangig an den Kämpfen und Geschichten hinter den Bauten interessiert, die er in anspruchsvolle Fotoessays packt.

Sein aktuelles Künstlerbuch „Geräusch einer fernen Brandung“ setzt den Fokus auf das Konzept der autogerechten Stadt, das in seiner konkreten Ausführung in Städten wie Köln oder Kassel Teil des deutschen Wirtschaftswundermythos geworden ist. Doch ist Schmitt weder in Köln noch Kassel dem aufbrandenden Geräusch des Stadtverkehrs nachgegangen, sondern in Hannover, dessen zügiger Wiederaufbau unter der Führung von Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht als „Wunder von Hannover“ (Der Spiegel, 1959) zu einer weiteren Phoenixfabel der Nachkriegszeit geworden ist. Hillebrecht setzte einen streng auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichteten Flächennutzungsplan durch, der breite Schnellstraßen um die Innenstadt legte. Die vormals dichte Bebauung musste neuen Autotrassen weichen, die an Kreuzungspunkten zu Hochstraßen werden konnten.

Gänzlich unprätentiös arbeitet Arne Schmitt diesen infrastrukturellen Großeingriff nach, dokumentiert in unspektakulären Farbaufnahmen den Verkehrsfluss über City-Ring, Berliner Allee, Hamburger Allee und Leibnizufer. Eher nebenbei fängt er die ikonischen Gebäude der niedersächsischen Landeshauptstadt ein, Heinz Wilkes Schokoturm am Raschplatz, das brutalistische Hochhaus Lister Tor, das Haus der Wirtschaftsförderung von Peter Behrens, Gerhard Graubners Preussag-Zentrale ebenso wie VW-Tower, Allianz-Hochhaus oder die Zentrale der Nord-LB von Behnisch + Partner. Ebenfalls prominent ins Bild gerückt sind verschiedene Kunstwerke im öffentlichen Raum, etwa Erich Hausers Stahlengel oder Symphony in Red von John Raymond Henry. Diese „Straßenmöblierung“ war eine Eigenart des Stadtbaurats, für das die Mittelstreifen seiner Schnellstraßen einen idealen Platz boten.

Schmitts Kamerablick schaut auf all das nie von einem erhöhten Standpunkt, die dem Blick des Planers nahekäme. Im Gegenteil nimmt er die Position des Fußgängers ein, dem bei der Planung keine Vorfahrt gewährt wurde und stattdessen konsequent „Tangenten“ in den Weg gelegt worden sind.

Abgesehen vom Abdruck eines lobhudelnden Artikels aus einer Ausgabe der Allgemeinen Bauzeitung von 1961 kommt „Geräusch einer fernen Brandung“ ohne Text aus. Sehr wohl aber hat das Buch eine Subtext, denn Arne Schmitts Auseinandersetzung mit der Nachkriegsarchitektur zeigt immer auch, dass das Ende des NS für viele Architekten kaum eine Zäsur gewesen ist: Hillebrecht konnte für sein „Wunder von Hannover“ auf bereits in Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte ausgearbeitete Pläne zurückgreifen. Im Stab machte der spätere Stadtbaurat auch die Bekanntschaft von Wilhelm Wortmann, den er nach dem Krieg als Assistenten nach Hannover holte, nachdem dieser als Zugehöriger mehrerer NS-Organisationen nicht mehr in der Bremer Baubehörde unterkam. Und auch der damalige Leiter des hannoverschen Planungsamtes, Hans Stosberg, hatte in seinem Vorleben die fragwürdige Position des Sonderbevollmächtigten für den Bebauungsplan der Stadt Auschwitz inne. Es steckt also eine Menge Substanz in diesem Künstlerbuch, das nach der Fotoessaysammlung „Wenn Gesinnung Form wird“ Arne Schmitts zweite tiefgehende Beschäftigung mit der deutschen Nachkriegsarchitektur ist. (Moritz Scheper)

Arne Schmitt: Geräusch einer fernen Brandung
Spector Books, Leipzig 2014
Hardcover, 128 Seiten, Deutsch
28 Euro


www.spectorbooks.com


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