„Er ist von einer bezaubernden Eitelkeit und klug genug, sie mit Ironie zur Schau zu stellen.“ Das sagte die zerbrechliche Schriftstellerin Brigitte Reimann einst über ihren Mitbürger Hermann Henselmann (1905–95), der in der DDR „der Architekt des Sozialismus“ sein wollte. Dabei hat er eine Reihe von Wendungen in seinem Leben absolviert und dabei stets seine Vergangenheit verschleiert oder stilisiert. Wer Anfang der Neunzigerjahre im (Gesamt-)Berliner Stadtforum den ehemaligen DDR-Staatsarchitekten Henselmann erlebte, sah einen eindrucksvollen alten Mann, der sich als unpolitischen Künstlerarchitekten mit internationalen Kontakten darstellte; in seinen Anekdoten spielten die Freundschaften zu bedeutenden West-Architekten eine große Rolle.
Henselmanns architektonische Vorliebe galt der Moderne, daher legte er stets großen Wert darauf, als Urheber der demonstrativ, ja kulissenhaft „modernistischen“ Villa Kenwin (1929-32) in La-Tour-de-Peilz am Genfer See wahrgenommen zu werden. Die vorliegende Arbeit weist nach, dass Henselmanns Anteil am Entwurf der Villa denkbar gering war: Der stammte vielmehr von dem – während der Bauarbeiten tödlich verunglückten – ungarischen Theaterarchitekten Alexander Ferenczy. Henselmann trug lediglich Inneneinrichtung und Gartengestaltung bei.
Was für eine Volte: Der Mann, der ab 1950 als Architekt der national-traditionalistischen Stalinallee auftrat (was er nicht alleine war), vereinnahmte das gestalterisch gegensätzliche Konzept des modernen Hauses Zeit seines Lebens für sich, obwohl es nicht von ihm stammte. Der Mann, der sich Sozialist nannte, baute Anfang der 1930er Jahre seinen Erstling (sowie drei Villen in Kleinmachnow) für reiche Leute – und nahm im Krieg Brotjobs für die Rüstungsindustrie Nazideutschlands an. Erst nach dem Ende der stalinistischen Doktrin in der DDR konnte er wieder das bauen, was er wollte: eine „Moderne im sozialistischen Gewand“. Mit dem „Haus des Lehrers“ (1961-64) realisierte er den Prototyp für eine neue Architektur in der DDR – die Durchsetzung der Moderne im Land war sein Verdienst. Dabei stellte er einen theoretischen Bezug zwischen Humanismus und Moderne her, um letztere als sozialistisch vereinnahmen zu können. Eine Unterscheidbarkeit zur gleich aussehenden zeitgleichen Architektur im Westen musste dann noch durch Bildende Kunst hergestellt werden: Das sozialistisch-realistische Wandfries von Walter Womacka am Haus des Lehrers ist mit zwei Geschossen Höhe unübersehbar.
Die Kernthese des Buches – neben der Demontage der Persönlichkeit Henselmanns – ist eine nicht mehr neue: Die „Moderne“ war in der Baugeschichte nicht fortschrittlich oder links, sie war vielmehr ein gefälliges Gefäß, das mit unterschiedlichen, sich gar widersprechenden Inhalten aufgeladen werden konnte. Insofern war Henselmanns Faible für die Moderne letztlich keine politische Überzeugung, sondern eine formale Vorliebe. (Benedikt Hotze)
Hermann Henselmann und die Moderne.
Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR
Elmar Kossel
Langewiesche, Königstein 2013
Festeinband, 200 Seiten, 200 s/w- und 2 Farb-Abbildungen
39 Euro
Zum Thema:
www.langewiesche-verlag.de