Das CERN in Genf ist eine Welt für sich – das macht schon der Umfang des Buches klar, das der Schweizer Fotograf Andri Pol gerade über die berühmte Forschungseinrichtung veröffentlich hat. Und es ist eine wundersame Welt, die man hier zu sehen bekommt, leicht heruntergekommen und unaufgeräumt. Industriehallen und Verwaltungsbauten prägen das Bild, an Materialien überwiegen altes Linoleum und Beton. Dazwischen sind aber auch ein paar Wohnhäuser in frischem Apricot zu sehen, mysteriöse technische Installationen und ein modernes Besucherzentrum in Kugelform. Ein provisorisches Sammelsurium also, von der Größe einer Stadt. Doch das, was es hier alles zusammenhält, liegt tief vergraben unter der Oberfläche: der riesige Teilchenbeschleuniger LHC.
Allerdings sind es nicht die Bauten selbst, die Andri Pol interessieren, sondern die Menschen, die dort leben und arbeiten. Es ist das Portrait einer Gemeinschaft von leidenschaftlichen Individuen, die hier das tun, was sie schon immer wollten. Die Grundlagen des Universums erforschen, natürlich, aber auch an zahllosen Nebenprojekten basteln, von denen vielleicht das berühmteste das World Wide Web ist, die Benutzeroberfläche des Internets. So zeigt das Buch eine Art Utopie, eine Insel der Glückseligen, die nicht nach den Regeln der restlichen Gesellschaft funktioniert. Deren Glück zugleich aber auch ganz anders beschaffen ist, einfacher und zurückhaltender, als das, was man gemeinhin in der Werbung präsentiert bekommt. Andri Pols präziser Blick sorgt dafür, dass dieses Buch weit über die berühmte Genfer Forschungseinrichtung hinausweist, die es so vielschichtig zeigt. (Stephan Becker)
Menschen am CERN
Europäische Organisation für Kernforschung
Lars Müller Publishers, 2013
Fotografien von Andri Pol
Texte von Peter Stamm und Rolf Heuer
Softcover, 432 Seiten, deutsch
50 Euro
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