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17.04.2013
Verner Panton. Die Spiegel-Kantine
Bücher im BauNetz
Am Pförtner hatten wir uns noch erfolgreich vorbeigeschlichen, bei der Bestellung fiel es dann doch auf: Wie hatten hier nichts zu suchen. Denn die berühmte Kantine im ehemaligen Spiegel-Hochhaus stand nur Mitarbeitern offen. Ein kurzer Eindruck also: Das Feuerwerk aus Farben und Formen passte eher in einen LSD-Rausch als in dieses nüchterne 60er-Jahre Bürohaus. Oder steigerte dessen Strenge noch die Wirkung?
Jedenfalls war es ein mutiger Schritt, 1968 den dänischen Architekten und Designer Verner Panton mit der Innenausstattung des ein Jahr später bezogenen Verlags- und Redaktionshauses von Werner Kallmorgen zu beauftragen. Interessanterweise stand neben Panton mit Herbert Hirche ein Vertreter einer ganz anderen Richtung zur Debatte: nüchterner Funktionalismus versus neue Lässigkeit. Der psychedelische Entwurf Pantons überzeugte, zumindest für das Schwimmbad im Keller, den Eingangsbereich, die Kantine und die Snackbar im Erdgeschoss sowie die Redaktionsräume in den Etagen eins bis sechs. Bis zum Kugelschreiber und Papierkorb reichte der Gestaltungsauftrag – nur vor den Büros des Herausgebers und des Verlagsdirektors machte der Farb- und Formenrausch halt: Die Herren Becker und Augstein bestanden auf neutralen Arbeitsplätzen. Ansonsten aber: rot rot blau blau blau orange orange orange orange rot rot blau rot blau rot rot rot, wie es Manfred Sack schon 1969 zur Eröffnung im Zeit-Magazin beschreibt. Der Artikel von damals ist in dem Buch ungekürzt abgedruckt und allein schon die Lektüre wert.
Nicht die ausgetüftelte Haustechnik mit Gegensprechanlage und Rohrpost beeindruckte, sondern das Bekenntnis zur Pop-Art. Die Gestaltung begann bereits außen mit einer Wand aus den Panton- typischen Elementen Quadrat, Kreis und Halbkugel, die sich innen als Leuchten wiederfinden. Geometrische Formen und Farben komponierte Panton zu einem Gesamtkunstwerk – wild und geordnet zu- gleich. Die Muster wurden direkt auf die Tischplatten emailliert oder in die Teppiche eingewebt. Panton erfand jedoch nicht nur neu, sondern bediente sich auch aus seinem bisherigen Fundus an Leuchten und Möbeln. Jede Etage erhielt ihre eigene Farbe, die fünfte mit den Konferenzräumen beispielsweise war ganz in Lila gehalten. Und auch wenn Pantons Frau Marianne im Januar 1969 „Alles ist Scheiße bei Spiegel“ notiert – Schuld war wohl der enorme Zeitdruck – waren am Ende doch alle glücklich. Zwischendurch flaute die Begeisterung für das Zeitdokument der späten 60er Jahre zwar etwas ab, das Spiegel-Interieur erfuhr aber auch eine lang anhaltende Renaissance bis hin zum Architektur-Tourismus.
Trotzdem – auch das erfährt man in dem bunt-informativen Buch mit Beiträgen zur Gestaltung, zu Verner Panton selbst und auch allgemein zum Design der 60er Jahre – überlebten die Jahrzehnte bis zum Umzug 2011 in die Hafencity lediglich die Snackbar und die Kantine. Das Schwimmbad existierte nur einige Jahre, die anderen Interieurs wurden nach und nach ersetzt. Was man inzwischen bitter bereut. Aber: Die Mitarbeiter wollten auch an ihrem neuen Arbeitsplatz nicht ganz auf die geliebte Bar verzichten, und so wurde nach dem Vorbild der alten im „Schaufenster“ des Henning-Larsen-Baus eine neue entworfen. Die überwiegend original erhaltene Snackbar und Kantine stehen heute übrigens auch Nicht-Spieglern offen: seit Oktober 2012 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. (Christina Gräwe)
Die Spiegel-Kantine
Hrsg. Sabine Schulze, Ina Grätz
Hatje Cantz, 2012
Gebunden, 112 Seiten, 104 farbige Abbildungen
29,80 Euro
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