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22.01.2013
Die Balkone von New Orleans
Bücher im BauNetz
Die gusseisernen Balkone gehören zu New Orleans wie Mardi Gras und der Mississippi. Dass ihre Existenz um 1900 leidenschaftlich kontrovers diskutiert wurde, ist heute kaum noch vorstellbar. Ein originelles Buch führt uns in das New Orleans des frühen 20. Jahrhunderts, wo ein bizarrer „Balkon- Streit“ die Grundlagen für das amerikanische Verständnis von Denkmalschutz legte. Die Autorin Nadine Klopfer zeichnet dabei auf spannende Art und Weise die Geschichte der Identitätsfindung einer amerikanischen Stadt, die bis heute ihre Individualität bewahrt hat. Im Jahr 1914 initiierte die Association of Commerce eine Kampagne zur Verschönerung der Hauptgeschäftsstraße: Hässliche Schilder und Leitungen sollten entfernt werden – und eben auch unansehnliche Balkone. Gerade nach dem verlorenen Bürgerkrieg wollte New Orleans – wirtschaftlich und ästhetisch – gegenüber dem Norden aufholen und sich als moderne Stadt präsentieren.
Die schlichte Verschönerungsmaßnahme, Teil des bundesweiten City Beautiful Movement, zwang die Stadt allerdings, ihr Selbstbild zu hinterfragen: Die Einen sahen in den Balkonen die Rückständigkeit des Südens veranschaulicht, während andere in ihnen eben die lokale Besonderheit erkannten, die es zu erhalten galt. Dafür aber musste ihre Geschichte nachträglich „angepasst“ werden. Die Balkone waren ein Relikt der Zeit vor dem Bürgerkrieg, gefertigt hatten sie kreolische Handwerker, also freie, katholische Schwarze. Die Befürworter ihrer Erhaltung unternahmen ihre Legitimierung jedoch, indem sie sich auf die koloniale Geschichte der Besiedelung durch Frankreich und Spanien beriefen; sie zeichneten das Bild einer alteingesessenen europäischen Aristokratie, in dem Schwarze gar keinen Platz hatten. Es kam zu einer Umdeutung des kreolischen Erbes; selbst die Slumbewohner des French Quarter galten plötzlich – ähnlich wie Rousseaus Bild vom „edlen Wilden“ – als arm, aber vornehm. Die koloniale Geschichte, das Fremde im Eigenen, wurde zum Alleinstellungsmerkmal und verdiente als solches offiziellen Schutz. Die kontroversen Seiten einigten sich schließlich darauf, das zu Bewahrende auf einen übersichtlichen Bereich zu beschränken. Das Stadtplanungsbüro Harland Bartholomew & Associates aus St. Louis erarbeitete bis zum Jahr 1929 den Comprehensive Zoning Plan , der dem French Quarter nun den Status einer historischen Sonderzone mit musealem Charakter verlieh. Bis heute bildet das Viertel somit einen Kompromiss zwischen Amerikanität und Un-Amerikanität, zwischen Nord und Süd, Moderne und Vergangenheit.
Der Autorin gelingt es, den Fall einer einzigartigen „Südstaaten-Stadt“ im Umbruch zu schildern und dabei in einen nationalen Kontext einzubetten, der einen politischen, sozialen und städtebaulichen Bogen spannt von der reconstruction bis zur urban renewal -Bewegung der 1950er und 60er Jahre. Das Bildmaterial und die Originalzitate tragen dazu einen großen Teil bei. (Myrta Köhler)
Die Balkone von New Orleans
Städtischer Raum und lokale
Identität um 1900
Nadine Klopfer
transcript, Bielefeld 2012
362 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb.
39,80 Euro
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