Über beide Architekten gibt es mittlerweile gewichtige Monographien, die wissenschaftlichen Standards genügen. Doch die Lebensumstände der porträtierten Persönlichkeiten bleiben in solchen Veröffentlichungen oft recht blass. Das ist hier anders: Das Doppelportrait der Architektenbrüder Taut hat keine Angst vor lebenspraller Kolportage.
Und da kommt vor allem Bruno Taut, der bislang als sensibler, sendungsbewusster, expressiver und sozialer Künstler galt, gar nicht gut weg. So war sein Bild von der Rolle der Frau alles andere als fortschrittlich: „Es hieße die Frau des für sie wichtigsten Wesenszuges berauben, wollte man ihr die Eigenschaft des Pflegens, Erhaltens, also das konservative Element nehmen, das in der Mütterlichkeit begründet ist“, schrieb der Architekt in einem Aufsatz, den er ausgerechnet „Die Frau als Schöpferin“ betitelte. Seiner eigenen Frau hingegen warf er vor, „nur“ Mutter zu sein und ließ sie mit den Kindern allein, um fortan mit einer jüngeren Frau in wilder Ehe zu leben, „die sozusagen als seine Sekretärin immer für ihn da ist“. Seinen Sohn, der als Heranwachsender verzweifelt um die Aufmerksamkeit des Vaters buhlte, ließ er kaltblütig abblitzen. Seine Kinder, so die Botschaft dieses Buches, waren dem großen Bruno Taut nicht nur herzlich egal, sondern sogar lästig.
Max und Bruno Taut haben ein gemeinsames Büro geführt mit Franz Hoffmann als Partner. Anders als etwa die Brüder Luckhardt, die zeitgleich und am gleichen Ort die Avantgarde der zwanziger Jahre gemeinsam vorangetrieben haben, hielten die Taut-Brüder ihre Projekte streng auseinander. So kann man heute die künstlerischen Wege der beiden Brüder jeweils für sich betrachten. Bruno Taut als Vater von „Onkel Tauts Hütten“ ist in die Architekturgeschichte eingegangen als der Vordenker der modernen Sozial-Großsiedlung. Bei mehreren der zum Weltkulturerbe der „Berliner Moderne“ ausgewählten Siedlungen war er (maßgeblich) beteiligt. Der „arbeitsame Asthmatiker“ starb 1938 im Alter von 58 Jahren im Exil in der Türkei.
Der wortkarge „kleine Bruder“ Max ist eine weniger schillernde Figur. Doch mit fünf Großbauten für gewerkschaftliche und öffentliche Bauherrschaft allein in Berlin zwischen 1922 und 1932 wird Max Taut zum Paten der heutigen „Berliner Rationalisten“. Besonders Max Dudler, dessen Büro nicht ohne Grund in Max Tauts ehemaligem Kaufhaus der Konsumgenossenschaften (1929-32) am Oranienplatz sitzt, fühlt sich dem „kleinen“ Taut sehr verbunden. Max emigriert in der Nazizeit nicht, er überlebt den Krieg und führt das Büro in der Nachkriegszeit weiter: Er gilt als „Anständiger unter den Dagebliebenen“. Er wird 82 Jahre alt.
Das Buch hat einen erzählerischen Grundton und scheut sich nicht, in didaktischer Manier parallele allgemeine Geschichtsereignisse einzustreuen und zu erklären. So liest sich die Biografie der beiden Taut-Brüder auch als zeitgeschichtliches Lehrbuch. Eine Architekturgeschichte ist es dagegen nicht: Häuser spielen in diesem Buch kaum eine Rolle. (Benedikt Hotze)
Unda Hörner: Die Architekten Bruno und Max Taut.
Zwei Brüder – zwei Lebenswege.
Gebrüder Mann Verlag, Berlin 2012
216 Seiten, 48 Abbildungen, davon 8 farbig
14,5 × 21 cm, gebunden
www.reimer-mann-verlag.de