Es war einmal ein Wald in Belgien, vor dem stand ein kleines Haus. Es war ein besonderes Haus. Eines Tages zog ein junges Paar in das Haus am Wald und machte es sich gemütlich. Es war ihr erstes Haus. Aber so wirklich wohl fühlten sich die beiden doch nicht. Irgendwie passte ihnen das Haus nicht ganz – ein paar Verbesserungen würden das Problem schon lösen. Die beiden beauftragten ein Architekturbüro mit dem Umbau ihres kleinen Hauses ...
Was wie ein Märchen klingt, wurde Wirklichkeit. Sechs Jahre lang dauerten Planung und Bauarbeiten, von 2003 bis 2009 wurde der Backsteinbau in dem Provinzdorf Sint-Eloois-Winkel von den belgischen Architekten 51N4E partiell umgebaut. Einen besonderes drastischen Eingriff sieht man heute direkt auf den ersten Blick: Eine 12 Millimeter dünne Stahlwand umschließt das kleine Bauernhaus (auch „Fermette“, wie man in Westflandern sagt) in einem Abstand von drei Metern. Nun muss man wissen, dass Mauern in dieser belgisch-ländlichen Region keine Seltenheit sind und dass es sich bei den beiden Bauherrn Julie Vandenbroucke und Michel Espeel um Kunstsammler handelt – solche Sicherheitsvorkehrungen inklusive Alarmanlage sind genauso essentiell wie die weißen Wände, an denen die Kunst hängt.
Trotz dieser besonderen Form der nachbarschaftlichen Abgrenzung haben N514E das Haus nicht hermetisch abgegrenzt, nein, es ist ein offenes Gebäude. Zwischen der Stahlwand und dem Haus entsteht ein Zwischenraum, den man ansonsten eher aus dem japanischen Wohnbau kennt. Und an einer Stelle, dort, wo die Wand unterbrochen ist, scheint der Wald in das Haus zu wachsen.
Als der Umbau endlich fertig war, entschieden sich Michel und Julie, Gäste einzuladen und zwar besondere: Künstler, Architekten und Designer, Regisseure, Dichter und Denker sollten sich das neue alte Haus je ein paar Tage zu eigen machen und darin wohnen. Diese Woche ist das Buch dazu erschienen. Zwischen dem wunderschönen ochsenblutfarbenen Einband wird auf der einen Seite der architektonische Umbau thematisiert, auf der anderen Seite werden aber hauptsächlich die sieben Gastbeiträge in den Fokus gestellt. Der Belgier Josse de Pauw zum Beispiel bespielt das Haus auf eine ungewöhnliche Weise. Der Schauspieler, Regisseur und Autor assoziierte mit dem Haus gleich eine Kulisse für einen Ingmar-Bergmann-Film und ließ zwei Darsteller einige Szenen nachspielen. Diese offensichtliche und kunstvolle Inszenierung von Architektur wird den ausgewählten Dialogen gegenübergestellt und zeigt das Haus in einem völlig neuen Kontext – mit dem Blick eines Regisseurs.
„Reasons for Walling a House“ ist ein ungewöhnliches Buch an der Schnittstelle zwischen Kunst und Architekturvermittlung mit einer äußerst erfrischenden, inspirierenden, irritierenden und poetischen Art, einen Umbau vorzustellen. (jk)
Reasons for Walling a House
Edited by 51N4E
Mit Beiträgen von Enrique Marty, 51N4E, Andrea Branzi, Josse De Pauw, Something Fantastic, BeL und Dirk Braeckman
Vorwort von Ilka & Andreas Ruby
Ruby Press, Berlin 2012
Englisch, 240 Seiten, Softcover
38 Euro
Zum Thema:
www.ruby-press.com