Das Architekturjahrbuch Graz Steiermark 2010 präsentiert sich zunächst als Rätsel. Die Gestaltung des granitgrauen Leinenumschlags erinnert in ihrer schlichten Eleganz an eine Beileidskarte. Doch was ist das? Oh nein! Das Buch scheint ein Mängelexemplar zu sein, nicht lose Seiten, sondern eine Klebebindung bildet die Buchkante. Nach kurzer Fummelei lässt sich die Publikation dann doch auseinanderbrechen. Sie öffnet sich in zwei Bücherblöcke, die sich jeweils von innen nach außen blättern lassen. Links ein Textteil, rechts wunderschöne Schwarzweiß-Aufnahmen, die sich teils über das A3-Querformat des rechten Buchblockes erstrecken.
Doch das von der Wiener Gestalterin Gabriele Lenz designte und von Hubertus Adam konzipierte Buch ist nicht nur in gestalterischer Hinsicht etwas Besonderes: Zehn herausragende Projekte hat der Kurator des Architekturpreises 2010 aus insgesamt 62 eingereichten Arbeiten für das Werk zusammengestellt. Darunter natürlich auch der strahlende Gewinner: das efh_surplus value01 Haus von weichlbauer/ortis. Das Bauernhausprojekt sieht ähnlich speziell aus wie sein Name klingt – vorgefertigte, scheinbar nutzlose Betontreppen ragen aus der mit Kunstrasen überzogenen Fassade hervor. Eigentlich kein Wunder, ist es doch Ergebnis einer experimentellen Planung der Grazer Architekten, bei der u.a. der österreichische Pro-Kopf-Bierkonsum (!) und die Blutwerte der Entwerfer (!!!) als Zahlenwerte herangezogen wurden.
Weiter finden sich unter Adams abgedruckten Top Ten die Volksschule in Mönichwald von den Innsbrucker dreiplus Architekten, ein Kindergarten in Graz von dem Büro Architektur STROBL und der Murturm von Loenhart&mayr, ein spektakulärer Aussichtsturm in Form einer wolkenkratzenden Doppelhelix. Stilsicher abgelichtet wurde die Favoritensammlung von der Fotografin Hertha Hurnaus. Die Schwarzweiß-Aufnahmen betonen besonders die Strukturen der
Architekturen in der teils verschneiten Steiermark.
Der Kunst- und Architekturhistoriker Adam erklärt in einem einführenden Essay das gut durchdachte Konzept seines Buches: Einen subjektiven Erlebnisreport über seine persönliche Reise zu den Preisträgern wolle er mit theoretischen Texten und Plänen verschränken. Wenn „kaum eine Buchgattung langweiliger ist als das typische Architekturjahrbuch“, wie Adam hier behauptet, so hat er es mit dem diesjährigen Architekturjahrbuch Steiermark geschafft, das Gegenteil zu beweisen. „Raum, verschraubt mit der Zeit“ ist ein vielschichtiges, unterhaltsames Werk, eine literarische und fotografische Reise in die Steiermarksche Architekturszene, die sich für jeden Baukulturfreund zu unternehmen lohnt. (lr)
Hubertus Adam: Raum, verschraubt mit der Zeit / Space Twisted with Time – Architekturjahrbuch Graz Steiermark 2010 / Architecture Yearbook Graz Styria 2010
Eva Guttmann – Haus der Architektur (Hg.)
Birkhäuser Basel, 2011
Fotoessay: Hertha Hurnaus
Buchgestaltung: gabriele lenz - büro für visuelle gestaltung
Textteil 88 Seiten, Bildteil 112 Seiten Duotone
20,4 x 28,4 cm, Leinencover, Fadenheftung
49,90 Euro