Schon mal von Tikopia gehört? Oder von Pukapuka? Nein? Auch nicht von Semisopochnoi, der Ratteninsel? Aber die Osterinsel, die ist bekannt. „Das Paradies ist eine Insel. Die Hölle auch“, schreibt Judith Schalansky in dem Vorwort ihres Atlanten, der ausgewählte Flecken unserer Erde zeigt. Jeder kennt diese magische Sehnsucht abgelegener Inseln – friedliche Ruhe, Sonnenschein, Meer und dann? Abwarten und überleben. „Atlas der abgelegenen Inseln. 50 Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde“ hat die Autorin ihr halb literarisches, halb kartografisches Buch betitelt. Eine Sammlung schöner einsamer Orte, faszinierend und beängstigend zugleich und oft: schlichtweg unerreichbar.
50 Karten im Maßstab 1: 125 000 und 50 Geschichten: Aus historischen Begebenheiten und naturwissenschaftlichen Berichten spinnt Schalansky zu jeder Insel eine Prosaminiatur, absurd-abgründige Geschichten, wie sie nur die Wirklichkeit sich auszudenken vermag, wenn sie mit wenigen Quadratkilometern im Nirgendwo auskommen muss. Sie handeln von seltenen Tieren und seltsamen Menschen: von gestrandeten Sklaven und einsamen Naturforschern, verirrten Entdeckern und verwirrten Leuchtturmwärtern, meuternden Matrosen und vergessenen Schiffbrüchigen, braven Sträflingen und strafversetzten Beamten. „Ich wollte ein Buch machen, das zugleich ein Atlas – mit all der Schönheit der Fakten und Landkarten – ist und ein Geschichtenbuch. Das Faszinierende ist nämlich: Alles, was auf einsamen Inseln geschieht, verdichtet sich zu einer Geschichte. Der Raum ist begrenzt und alle Personen haben ein Motiv, einen Grund, warum sie hier sind. Es ist wie auf einer Bühne“, erklärt die junge Autorin, die – 1980 in Greifswald geboren und dort aufgewachsen – lange Zeit nur mit dem Finger auf der Weltkarte verreiste. „Wahrscheinlich liebte ich Atlanten deshalb so sehr, weil mir ihre Linien, Farben und Namen die wirklichen Orte ersetzten, die ich ohnehin nicht aufsuchen konnte. Und das blieb auch so, als sich alles änderte, die Welt bereisbar wurde und mein Geburtsland samt seiner eingezeichneten und gefühlten Grenzen von den Karten verschwand.“
Der Atlas, 2009 erschienen, ist letztes Jahr mit dem 1. Preis der Stiftung Deutscher Buchkunst ausgezeichnet worden, mittlerweile auf Englisch und Französisch übersetzt worden und gerade als Taschenbuchausgabe für unterwegs erschienen. Judith Schalansky stellt mit ihrem Atlas alles andere in den Schatten. Sehr sorgfältig hat sie an diesem Buch gearbeitet, die zarten Inseltopographien gezeichnet und ebenso wunderschön geschriebenen Anekdoten gegenübergestellt. Dieses Buch ist meine Insel, verrät die Autorin in einem Gespräch. Ihr neues Buch, der Bildungsroman „Der Hals der Giraffe“, steht übrigens schon auf der Longlist des Buchpreises. (jk)
Atlas der abgelegenen Inseln - 50 Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde
Judith Schalansky
Mare Verlag
Halbleinen, 144 Seiten
34 Euro
www.atlas-der-abgelegenen-inseln.de