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08.09.2011

1WTC

Bücher im BauNetz


Anlässlich des zehnten Jahrestags der Anschläge auf das World Trade Center in New York liest Friedrich von Borries aus seinem aktuellen Roman 1WTC in den KunstWerken in Berlin. Wir haben das Buch rezensiert:

Mit einem Stipendium und einer Idee zu einem Kunstprojekt  kommt Mikael Mikael nach New York. Er will die Überwachung im öffentlichen Raum dokumentieren. Am Flughafen holt ihn eine Freundin ab –  Syana, auch Künstlerin, außerdem Hackerin und Mikaels ehemalige Affäre, die bereits im Fahrstuhl wiederbelebt wird.

Die Geschichte verwebt sich mit zwei weiteren Protagonisten, der Galeristin Jennifer und ihrem Freund Tom, Ex-Soldat mit guten Kontakten zur CIA und jetzt Architekt, der gerade bei Skidmore, Owings and Merrill (SOM) einen neuen Job antritt. Er soll die Kellerräume von 1WTC, dem neuen World Trade Center, planen und ist offiziell für die Sicherheit zuständig. Als Mikael die Idee entwickelt, sich mit Syanas Hilfe in die Datenübertragung der Überwachungskameras New Yorks zu hacken, um aus den Bildern und mit Jennifer als Hauptdarstellerin einen kruden Kunstfilm zu schneiden, entdeckt er etwas, das er nicht hätte entdecken sollen. Am Ende von 200 flott geschriebenen Seiten sind drei der vier Hauptdarsteller tot.

Der Verlag kündigt dieses Buch als „Roman“ an, der Autor Friedrich von Borries spricht im Vorwort lieber von einem „Bericht“, der auf Gesprächen mit Mikael Mikael beruhe. Denn „Fiktion ist die beste Tarnung der Realität“. Schon mit diesen ersten Zeilen beginnt die durchaus beunruhigende Wirkung des Buches: Geschickt montiert von Borries darin immer neue Lagen von Fiktion und Realität übereinander, bis eine Art Kunst-Architektur-Science-Fiction-Sex-Politkrimi entstanden. Ein munterer Reigen aus Beobachten und beobachtet Werden, aus Überwachen, Überwacht-werden und Überwacht-werden-wollen.

Als Leser hat man schnell das Gefühl, dass hinter jedem Spiegel noch ein Unbekannter steht, der das Spiel beobachtet und seine eigenen Ziele verfolgt. Und fast wie Bastian Balthasar Bux in der Unendlichen Geschichte hat man irgendwann das wirklich beunruhigende Gefühl, als wäre man vielleicht selbst Teil dieser Geschichte.

Als guter Kniff erweisen sich dabei die drei Erzählweisen, aus denen der Roman collagiert ist: Mal ist er wie ein Drehbuch geschrieben, in dem auch Kameraeinstellungen und -fahrten notiert werden, dann wieder Prosa und dazwischen werden wie Fußnoten gewisse Begriffe, Personen, Ereignisse oder Gebäude erläutert. So übersteigt der „Roman“ immer wieder leichtfüßig den brüchigen Zaun zwischen Fiktion und Realität, und von Mikael Mikael, so viel ist klar, werden wir bald auch in der „Realität“ noch etwas hören und sehen.

Die ungewöhnliche Collagen-Technik kommt dabei unseren heutigen Lesegewohnheiten zwischen Print und Netz sehr nahe und wirkt rasch vertraut, bindet uns aber gleichzeitig an das Buch: Statt die Informationen selbst zu prüfen, folgen wir hier diesen Notizen, die in ihrer lexikalischen Kurzform äußerst vetrauenswürdig wirken. Aber kann man ihnen trauen? Wer steckt eigentlich hinter Wikipedia? Wer autorisiert heute Informationen?

Das ist alles unterhaltsam geschrieben, vermittelt am Rande noch ein wenig Kunst- und Architekturgeschichte und reißt auch noch ein paar der ganz großen Fragen an: Was ist „Wahrheit“? Was ist „Fiktion“? Wie viel prophylaktische Sicherheit sind wir bereit, zuzulassen, um unsere Freiheit zu verteidigen? Am Ende bleibt man mit einem mehrfach gebrochenen Blick auf die Realität zurück und mit einer geschärften Wahrnehmung für die überall montierten Kameras.

Für Paranoiker und andere Verschwörungstheoretiker ist das Buch jedenfalls nicht zu empfehlen. Sie könnten hier auf ganz neue, ganz schlechte Ideen kommen. Für gefestigte Geister ist 1WTC ein äußerst unterhaltsamer und durchaus lehrreicher „Bericht“. (Florian Heilmeyer)

Friedrich von Borries: 1 WTC
Roman, 204 Seiten, Klappenbroschur
Suhrkamp Verlag, 2011
13,95 Euro

Lesung: Friedrich von Borries liest anlässlich der Ausstellung „Seeing is believing“ (mit Kunstwerken von Mikael Mikael) aus seinem Roman
Termin: Sonntag, 11. September 2011, 17 Uhr
Ort: KW Kunst-Werke Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, 10117 Berlin


Zum Thema:

Mehr zu Überwachungssystemen im Baunetz Wissen Sicherheitstechnik.


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