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19.07.2011

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Zeugenschutzprogramm für Ostmoderne

Bücher im BauNetz


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Gewobene Wabenfassaden, in graue Himmel ragende Plattenbauten und spacige Kulturpaläste – all das sind Strukturen, welche die Stadtlandschaften der sozialistischen Moderne geprägt haben. Von den ehemaligen Centrum-Warenhäusern in Magdeburg und Dresden bis hin zu Sportpalästen im Kosovo und St. Petersburg hat der Fotograf Ramon Bezjak die baulichen Hinterlassenschaften einer längst vergangenen Ära festgehalten. Jetzt bündelt ein 160-Seiten-Bildband das Werk des Bielefelder Professors für Dokumentarfotografie. 76 querformatige Bilder zeigen betonierte Alltagsarchitektur: Das Leben der Menschen hinter dem Eisernen Vorhang wird  offengelegt und gleichzeitig dekonstruiert.

Selber in Slowenien geboren, kam Bezjak die Idee zu einer Bilderserie sozialistischer Stadtansichten auf einer der vielen Reisen, die er als Fotojournalist in den 90ern für „Geo“, „FAZ“ oder „Merian“ unternahm. Fünf Jahre fuhr und flog er dann mit seiner Großbildkamera und dem immergleichen Objektiv durch die Länder Osteuropas, entstanden sind dabei eindrucksvolle Aufnahmen einer verwitterten und ständig vom Abriss bedrohten Welt.

Der Untertitel „Archäologie einer Zeit“ lässt an die Werke von Bernd und Hilla Becher denken, die in ihren Bildern auf fast archäologische Art und Weise die untergehende Industrielandschaft dokumentierten. Anders als das Fotografenpaar erstellt Bezjak keine Typologien unterschiedlicher Gebäudegattungen. Er zeigt seine Motive immer im Kontext – mal eingeklemmt zwischen gründerzeitlichen Fassaden und Einfamilienhäusern, mal umrankt von Wellblechhütten-ähnlichen Baracken und parkenden Autos.

Wer wann in welchem Kontext die jeweilige sozialistische Utopie in Beton gegossen hat, erfährt der Betrachter nicht – die Bildtitel verraten nur die Stadt, den Staat und den Namen des gezeigten Motivs. Hinweise auf das Aufnahmedatum geben nur die Passanten, die Werbetafeln und Autos sowie die Mode der Menschen, die zwischen den Plattenblöcken und in den weitläufigen Straßenzügen ihren Alltag bestreiten. Der Betrachter wird so zum Detektiv, er verliert und verliebt sich auf Spurensuche in Details, die sich hinter der Monumentalität der Motive verbergen.
 
Eingelullt von der sozialistischen Postkartenästhetik der Fotos bleibt eines für den Betrachter in jedem Fall ungewiss: Was ist heute mit diesen Orten? Eine von Bezjak durchaus gewollt provozierte Frage, wie die Kuratorin Inka Schube schon im Vorwort zu berichten weiß. Und der Journalist Till Briegleb sieht in seinem Begleittext die künstlerisch und kulturhistorische Bedeutung der Fotografien „in der Rettung von erinnerungswürdigen Bildern – Bilder, die häufig so alltäglich erscheinen, dass niemand sich die Mühe macht, ihren schmutzigen Zauber zu bannen“. Für ihn ist der Bildband „ein Zeugenschutzprogramm für die Ostmoderne“.

Bezjaks Bilder werden auf den letzten Seiten ergänzt durch eine Karte der von ihm bereisten Orte. Eine Auflistung seiner Bilder im Miniformat gibt einen schönen Überblick. Alles in allem dürfte „Socialist Modernism – Archäologie einer Zeit“ für Ostalgiker, Denkmalschützer der Ostmoderne sowie für alle Fans sozialistischer Stadtplanung ein absolutes Must-Have sein. (lr)

Roman Bezjak: Socialist Modernism – Archäologie einer Zeit
Hatje Cantz Verlag, 2011
160 Seiten, 39,90 Euro


Die Ausstellung „Roman Bezjak. Archäologie einer Zeit: Sozialistische Moderne“ ist noch bis zum 16. Oktober im Sprengel Museum Hannover zu besichtigen


Zum Thema:

www.hatjecantz.de

www.sprengel-museum.de


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

1

Oliver Schär | 30.07.2011 20:22 Uhr

Unbedingt erhaltenswürdig

Nach Frederic Chaubins Projekt "CCCP" ein weiterer Band mit genialen Fotos dieser Architekturen, deren Ästhetik sich leider nicht für jeden erschließt. Gerade durch das jahrelange vernachlässigen und verkommen lassen geraten diese Objekte schnell auf die Abrissliste der Stadtplaner. Daher stellen die Bilder in vielen Fällen eine letzte Dokumentation des Verschwundenen dar. Die Bildkompositionen gefallen mir persönlich etwas besser als bei Chaubin.

 
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