Statt einer Buchrezension lesen Sie hier Zitate aus dem Buch. Friedrich Achleitner beweist trefflich, dass Architektur und Sprache zusammengehen können. Der dritte Wien-Band und damit der Abschluss seines Österreich-Führers ist kürzlich erschienen. Den noch fehlenden Band Niederösterreich wird der 80-jährige Autor nicht mehr fertig stellen. Das ändert nichts am tiefen Respekt vor diesem Opus Magnum. (-tze)
Eigentlich müsste man für den Wohnbau eine Art Genieparagraphen schaffen, der den normalen Bürger (falls es diesen gibt) vor Genieblitzen schützt. Denn die Höhepunkte der Kunst, ins Alltägliche transponiert, werden, wenn sie nicht von selbst verblassen oder ins Belanglose absinken, unerträglich, weil höchste Kunst, lebenslänglich verordnet, eigentlich (nach Loos) zur Folter gerechnet werden könnte. Wohnturm Wagramer Straße, Coop Himmelb(l)au, 1996-98, S. 321
Das interessante Haus, wie sollte es anders sein, war auch in der Fachwelt umstritten. (...) Dieses kräftige Fassadenmotiv wirkt auf den ersten Blick geheimnisvoll, da man erst die dazugehörenden Grundrisse erraten muss.
Wohnhaus Heiligenstädter Straße, Egon Riss (1936-37), S. 35
Ein beachtliches Haus, bei dem der „alte“ (59-jährige) Otto-Wagner-Schüler sämtliche Tugenden der Wagner’schen Disziplin in die „Neue Sachlichkeit“ herübergerettet hat. Das Spiel der Elemente ist durch die Symmetrie geordnet, ohne als Maßregelung empfunden zu werden.
Wohnhaus Philippovichgasse, Josef Ludwig (1930), S. 38
Der „Karl-Marx-Hof“ ist nicht nur der eindrucksvollste Wiener „Superblock“, sondern auch der bekannteste, symbolträchtigste, legendärste und vielleicht auch am meisten missverstandene. Das bekannte rhythmische Tor-Turm-Mittelmotiv mit den plakativen Fahnenmasten entsprach so ganz dem politischen Pathos der Zeit, aber noch mehr den späteren Interpreten, die darin eine den sowjetischen „Sozialistischen Realismus“ vorwegnehmende Semantik erkannten. (...) So hat dieses postmoderne Missverständnis in den 1970er Jahren doch sehr zur Wiederentdeckung des Wiener kommunalen Wohnungsbaus und speziell zur einseitigen Überbewertung des Karl-Marx-Hofes beigetragen. (...) Die Architektur von Ehn, eines realistischen Baubeamten, ist eine geschickte „Andeutungsarchitektur“, die Neue Sachlichkeit mimt.
Karl-Marx-Hof, Karl Ehn (1925-30), S. 46
Dieses geometrische Konzept ist wie geschaffen für die Formulierung einer Philosophie der Peripherie, es zeigt Prägnanz und Gelöstheit in einem und bleibt aufladbar für Bedeutungen eines Ortes. Der eigentliche „Witz“ dieses Layouts liegt aber in dem genialen Trick, dass durch die innere Verspannung (durch flache Bögen) eines im Grunde rektangulären Rasters ein System unterschiedlicher Orte entsteht, so dass die Lage jedes Hauses auch visuell bestimmt wird. (...) Das Prinzip Gleichheit wird durch das Prinzip Differenzierung gewissermaßen verdeutlicht.
Siedlung Pilotengasse, Herzog + de Meuron, Steidle, Krischanitz (1987-92), S. 338
Helmut Richters Entwurf für eine Wohnanlage hatte Mitte der 1980er Jahre in mehrfacher Hinsicht Signalcharakter. Man könnte dieses Signal insofern missdeuten, als es sich gegen die damals dominierende Postmoderne wendet, was jedoch historisch unkorrekt wäre, weil Richter seit den 1960er Jahren ein stringentes Weiterdenken der Moderne vertrat, also hier in seiner Entwicklung bereits ein autonomes Niveau erreicht.
Wohnanlage Brunner Straße, Helmut Richter (1986-90), S. 402
...andererseits konnte man der bizarren Konzeption eine gewisse Zeichenhaftigkeit, Merkbarkeit und auch einen konstruktiven Elan nicht absprechen. UNO-City, Johann Staber (1971-79), S. 263
Feuerwehrdepots hatten traditionell, allein schon durch den Schlauchturm, eine besondere Physiognomie. Wenn diese auch noch durch den zentralen Standort unterstrichen wird, warum soll dann nicht ein Bezirksmuseum daraus werden?
Museum Kagraner Platz (ehem. Feuerwehrdepot), S. 271
Friedrich Achleitner:
Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert III/3, Wien 19.-23. Bezirk
Herausgegeben vom Architekturzentrum Wien
Residenz-Verlag, St.Pölten, Salzburg, 2010
500 Seiten, Hardcover, 49,90 Euro