Macht es denn heutzutage noch Sinn, nach einer „nationalen Architektur“ zu fragen? Wo doch die Lebensläufe längst von der Ausbildung bis zur Arbeitserfahrung international verlaufen, wo Inspirationen aus Japan, Australien, Afrika, Südamerika oder Castrop-Rauxel in allen Blogs und Magazinen verfügbar sind?
Die Herausgeber des norwegischen Magazins Arkitektur N haben ihre Auswahl dennoch streng auf die nationale Gebäudeproduktion beschränkt und 31 Projekte ausgewählt, die in den letzten vier Jahren in Norwegen realisiert wurden, und – außer dem Knut Hamsun Center von Steven Holl – werden auch nur norwegische Architekten gezeigt.
Das Buch enthält einiges Bekanntes. Neben Steven Holl auch Snøhettas Oper in Oslo, das Zisterzienserkloster von Jensen & Skodvin oder die beiden jüngsten Projekte von Sverre Fehn in Oslo: das Architekturmuseum und das großartige Gyldendal-Headquarter. Das Buch variiert aber die großen Projekte auf das Angenehmste mit kleineren Projekten, die man außerhalb Norwegens kaum je gesehen haben dürfte: Ein Kulturzentrum von A-LAB, Passivhäuser von Steinsvik Arkitekter oder Dahle und Dahle, auch eine simple Strandhütte von Fantastic Norway oder Landschaftsprojekte wie der Nansen Park von Bjørbekk & Lindheim oder der Geopark in Stavanger von Helen & Hard. Findet sich darin eine spezifisch „norwegische Architektur“? Hans Skotte hinterfragt in seinem klugen Essay „The State of Identity“ gleich zu Beginn des Buchs auf charmante Weise die Herkunft dieser Idee des „Nationalen“ in der Architektur und findet die Vorgaben in den Geburtsstunden des norwegischen Nationalstaats (1850) und in den Wiederaufbauprogrammen nach dem zweiten Weltkrieg, als die neue Architektur „norwegisch“ sein sollte. „Norwegisch“ wurde insbesondere konnotiert, wenn die Gebäude schlicht, funktional und überwiegend aus Holz waren. Aber, so Skotte, „norwegische Architektur hängt nicht davon ab, dass der Architekt Norweger ist.“
So befreit Skotte das Buch ziemlich lässig aus einer allzu nationalistischen Sichtweise, denn „die Identität einer Nation kann nicht in frischem Holz und nassem Beton gefunden werden“. Und so öffnet sich, hinter der lästigen Frage, was denn spezifisch norwegisch sei, der Blick auf die vielfältigen Verbindungen zwischen den Gebäuden und der eindrucksvollen Landschaft Norwegens, auf die sparsame, aber durchaus verspielte Material- und Formsprache, in der sich Parallelen, aber auch erfreulich viele Widersprüche finden. „Made in Norway“ ist zum Glück sehr viel mehr als eine Suche nach der „norwegischen Architektur“. Es ist ein wunderbarer Überblick über sehr gute Architektur, die in den letzten Jahren in Norwegen entstanden ist. (Florian Heilmeyer)
Made in Norway – Norwegian Architecture Today
herausgegeben von Ingerid Helsing Almaas /Arkitektur N
Birkhäuser Verlag, 2010, Softcover, 144 Seiten, Englisch
37,34 Euro
www.birkhauser.com
Zum Thema:
Download der Baunetzwoche#207 „Detour”