Erinnert sich noch jemand an den so genannten Berliner Architekturstreit, der 1993 durch einen Spiegel-Aufsatz des damaligen DAM-Direktors Vittorio Magnago Lampugnani mit seinem Plädoyer für eine „Neue Einfachheit“ ausgelöst wurde?
Eine Debatte, bei der die eine Fraktion um Lampugnani, Stimmann und Kollhoff vor allem das Fassadenmaterial Stein festschreiben wollte? Und bei der die diversen anderen Fraktionen, angeführt von Dieter Hoffmann-Axthelm, vor allem ein Architektenkartell witterten, dem es vorrangig um Aufträge ging? Derselbe Dieter Hoffmann-Axthelm übrigens, der wenig später von Stimmann mit der Ausarbeitung von Teilen des „Planwerks Innenstadt“ beauftragt wurde...
Obwohl diese Debatte ein „Architekturstreit“ sein wollte, fand sie merkwürdigerweise – mit Ausnahme der verdienstvollen Arch+ und ihrem „Neuteutonia“-Heft – kaum in Architekturmedien statt, sondern hauptsächlich in Publikumszeitungen und -zeitschriften wie Spiegel, FAZ und Zeit. In unserer Redaktion kursierten damals Zettelkästen mit Ausrissen und Fotokopien, in denen alle Beiträge dieser Debatte gesammelt wurden. Dem Hamburger Architekturkritiker Gert Kähler gebührte 1995 das Verdienst, die meisten wichtigen Aufsätze in einem Bändchen der Reihe „Bauwelt Fundamente“ zum Nachlesen gebündelt zu haben.
Mit der Dissertation „Der Berliner Architekturstreit“ von Florian Hertweck liegt nun über fünfzehn Jahre später eine wesentlich gründlichere und spannend zu lesenden Beschäftigung mit dieser Kontroverse vor, mit ihren Voraussetzungen, ihren vielfältigen Protagonisten und jeweiligen Interessen und schließlich ihren – erstaunlich marginalen – Folgen.
Die Sympathien des Autors, der formell zur wissenschaftlichen Neutralität verpflichtet ist, liegt dabei eher auf Seiten der Stimmann-Gegner. Allerdings würdigt er – als einzigen aus dieser Fraktion – Hans Kollhoff und bezeichnet ihn gar als „bedeutendsten lebenden Berliner Architekten“, weil dessen Bauten „eine radikale Stringenz zu ihrem theoretischen Unterbau aufweisen“. Gemeint ist: Weil Kollhoff von Tektonik nicht nur spricht, sondern die Natursteinverkleidungen seiner Bauten auch kunstvoll so aussehen lässt, als wären sie aus dem Vollen gefügt.
Fazit des Werks von Hertweck: „Die gebauten Resultate [dieser Debatte] bedürfen keiner weiteren Besprechung“. Er zitiert Kurt W. Forster, der 2004 gesagt hatte: „Was da [in Berlin] an großen Gebäuden gebaut wurde, ist von fataler Veraltetheit.“ Ob es ohne diesen Streit anders gekommen wäre, weiß man nicht. (-tze)
Zum Thema:
Florian Hertweck: Der Berliner Architekturstreit
Gebrüder Mann Verlag, Berlin 2010. 352 Seiten mit 91 Abbildungen, ISBN 978-3-7861-2621-8, 49 Euro
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