Das 2022 erschienene Buch Südtiroler Siedlungen. Condomium in mind widmet sich einem komplexen Thema der jüngeren Migrationsgeschichte zwischen Österreich und Südtirol, das jenseits der Landesgrenzen wenig bekannt sein dürfte: den Auswanderungen vor allem deutschsprachiger Italiener*innen aus Südtirol in das Deutsche Reich im Kontext der faschistischen Italianisierungskampagne Benito Mussolinis.
Mussolinis Ziel war es, Südtirol möglichst italienisch zu prägen. Zwischen dem Deutschen Reich (das nach dem sogenannten Anschluss Österreichs direkt an Südtirol grenzte) und Italien wurde deswegen für die deutschsprachigen Südtiroler*innen eine Option ausgehandelt: Sie konnten sich entweder zum Deutschen Reich bekennen und in dieses immigrieren, oder in ihrer Heimat bleiben, wo sie sich aber mit einer Marginalisierung ihrer Sprache und Kultur konfrontiert sahen.
250.000 Menschen mussten sich bis Ende 1939 zwischen den Möglichkeiten „Optant“ oder „Dableiber“ entscheiden, was nicht ohne Konflikte bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzung innerhalb der Bevölkerung vonstattenging. Auch wenn nur circa 75.000 Menschen tatsächlich auswanderten, musste für diese Wohnraum geschaffen werden. Die 130 Siedlungen im heutigen Österreich, die in den Jahren 1939-44 für die „Optanten“ entstanden, sind Thema des materialreichen Buches, das am Dienstag, 10. Dezember 2024 in Wien vorgestellt wird.
Die Form der Siedlungen ist im Detail vielfältig, zeugt in ihrer offenen, durchgrünten Anlage aber vom Einfluss der Moderne. Manche Bauten zeigen sich eher alpenländisch, manche pittoresk oder bieder, manche bewusst nationalsozialistisch-deutsch.
Über die Biografien der Menschen, für die die Häuser einst gebaut wurden, schreiben die Macher*innen des Buches: „Sie waren dreifach unter die Räder der Geschichte gekommen: Einmal durch den Faschismus, der ihnen ihre Identität und damit die angestammte Heimat nehmen wollte, dann durch das Deutsche Reich, das die falschen Versprechungen einer neuen Heimat gemacht hatte und schließlich die von Südtirol empfohlene, aber dann unerwünschte Rückkehr in die alte Heimat, was sie zu Migranten im eigenen Land machte.“
Auf dem Podium am Dienstag in den Räumen der Österreichischen Gesellschaft für Architektur ÖGFA in Wien werden Herausgeberin Wittfrida Mitterer und die Buchautoren Horst Hambrusch, Bruno Maldoner und Günther Pallaver diskutieren. Die Moderation übernimmt Maik Novotny von der ÖGFA.
Termin: Dienstag, 10. Dezember 2024, 19 Uhr
Ort: Österreichische Gesellschaft für Architektur ÖGFA, Liechtensteinstr. 46a/2/5, 1090 Wien
Zum Thema:
oegfa.at
Das Buch ist im Eigenverlag des Kuratoriums zur Sicherung des technischen Kulturerbes in Bozen erschienen und kann direkt dort bestellt werden.
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Clemens Dill | 06.12.2024 16:27 UhrFaschisten unter sich
Meinen herzlichen Dank an BauNetz-Redaktion für diese Rezension. Die Ideen von Rasse und Rassenreinheit, von homogenen Gesellschaften, von monoidentitären Kulturräumen als Instrumente der Macht gegen die Menschlichkeit..., das erschreckende daran ist die Aktualität solcher Geschichten, nämlich das von den heutigen Faschisten in Europa und Amerika propagierte Leid, das sie jenen in Aussicht stellen, die ihren Vorstellungen von Reinheit nicht entsprechen