Kommende Woche beginnt die 16. Architekturbiennale in Venedig. Dann liegt alle Aufmerksamkeit auf den beiden diesjährigen Kuratorinnen Shelley McNamara und Yvonne Farrell. Was steht hinter der Entscheidung, die beiden zu beauftragen? Ein Gespräch mit Biennale-Präsident Paolo Baratta über Venedig als serielles Forschungslabor, die architektonische Bedeutung öffentlicher Institutionen und die Notwendigkeit, das Thema „Freespace“ auch als persönliche Herausforderung zu begreifen.
Von Stephan Becker
Herr Baratta, Sie haben das diesjährige Biennale-Thema „Freespace“ wiederholt auch aus einer wirtschaftlichen Perspektive erörtert. Sie selbst sind Ökonom, waren Sie in diesem Jahr besonders involviert? Architektur hat das Potential, Reichtum jenseits dessen zu produzieren, was sich in Geld ausdrücken lässt. Als Ökonom habe ich außerdem eine klare Vorstellung von der Bedeutung von öffentlichen Gütern. Das Spannende an Architektur ist nun, dass Geld hier tatsächlich nicht alles ist, sondern sich auch Vieles erreichen lässt, in dem wir gründlicher nachdenken und besser organisieren. Ohne Architektur wären wir jedenfalls alle ärmer, und wir sollten uns dahingehend als Gesellschaft nicht allzu dumm anstellen – eigennützig vielleicht, aber nicht eigennützig und zugleich dumm. Darum bin sehr an der Arbeit von Yvonne Farrell und Shelley McNamara interessiert, weil sie immer wieder bewiesen haben, dass ihre Architektur über einen Reichtum verfügt, der auch private Bauten zu öffentlichen Angelegenheiten macht.
Das Thema erscheint wie eine Fortsetzung der Biennale von Alejandro Aravena, die ja sehr genau aufzeigte, welchen Nutzen Architektur konkret haben kann. War es Ihr Wunsch, mit der Beauftragung von Farrell und McNamara diese Fragen zu vertiefen? Ganz allgemein gesagt: Ja. Es ist schließlich meine Verantwortung, dass die Biennalen auch in ihrer Abfolge einen Sinn ergeben, dass sich vielleicht sogar ein kontinuierlicher Forschungsprozess erkennen lässt. In diesem Sinne geht es darum, dass sich mit jeder Biennale neue Fragen ergeben, die dann in der darauffolgenden Ausgabe aufgegriffen werden können. Konkret bedeutet das, mit Aravena zunächst den Blick auf spezifische architektonische Lösungen gerichtet zu haben und nun in diesem Jahr die Freiräume zu diskutieren, die eine Voraussetzung für solche Lösungen sind.
Interessant ist dabei, dass auch Farrell und McNamara in ihrer Themenwahl sehr stark von der Architektur ausgehen, stärker vielleicht als beispielsweise Koolhaas mit seinem technologieorientierten Ansatz. Die beiden sind sich sehr bewusst darüber, dass es einer gewissen architektonischen Großzügigkeit bedarf, damit tatsächlich außergewöhnliche Freiräume entstehen – wie sie eben immer wieder auch von öffentlichen Institutionen geschaffen werden. Und eine wesentliche Bedingung hierfür ist die besondere Aufmerksamkeit der Architekten. Von ihnen fordern Farrell und McNamara aber auch einen gewissen Mut, was wiederum eine gute Voraussetzung für eine erfolgreiche Biennale ist.
War es für Sie eine neue Erfahrung, erstmalig nicht nur mit einer Person, sondern mit zwei Kuratorinnen zu arbeiten? Ja und nein, denn in gewissem Sinne sind Farrell und McNamara eine Person. Das hat nichts damit zu tun, dass sie besonders harmonisch wären. Eher erinnern sie mich an jene olympischen Götter, deren komplexe Persönlichkeit ganz unterschiedliche Gestalt annehmen kann. Sie sind eins, gerade weil sie oft auch sehr unterschiedlich sind. Weshalb wahrscheinlich alle meine Versuche vergeblich waren, aus Eigeninteresse einen Keil zwischen die beiden zu treiben…
Der Wert von architektonischen Freiräumen muss insbesondere auch der Öffentlichkeit gegenüber gut kommuniziert werden in einer Zeit, in der jedes Projekt das Budget zu überschreiten droht. Was vermag da eine Biennale ausrichten? Ich habe über die Jahre viele Definitionen gegeben, was eine Biennale leisten, was sie sein kann, von einem „Kraftwerk der Ideen“ bis zu – aktuell – einer „Maschine des Begehrens“. Für uns geht es darum, ein Begehren dafür zu erzeugen, dass die Dinge auch anders als üblich gemacht werden können. Wenn uns dies gelingt, wäre es ein großartiger Erfolg, und das steht auch in unmittelbarem Bezug zum wichtigsten „Freespace“ überhaupt: Jenem in uns selbst, in unseren Köpfen, den wir dringender denn je brauchen, um als Gesellschaft unsere zerstörerischen Egoismen zu überwinden.
Kamera beim Interview: Till Kind