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16.12.2015

Eher Mittelalter als Science Fiction

Bernhard und Stefan Marte im Interview


Die Modelle selbst gliedern als schwere Wandscheiben den Raum, womit Bernhard und Stefan Marte bei ihrer aktuellen Ausstellung „Appearing Sculptural“ im Architekturforum Aedes neue Wege gehen. Ein Gespräch über den emotionalen Mehrwert ihrer Formen, die Qualitäten des Mittelalters und die feinen Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich.

Von Stephan Becker


Der Titel Eurer Ausstellung lautet „Appearing Sculptural“. Wofür steht das?

Stefan Marte: In unserer Arbeit suchen wir nach einem skulpturalen Ausdruck, das ist schon länger eine klare Entwicklung. Die Idee dahinter ist ein emotionaler Mehrwert für die Nutzer sowie auch das städtische Umfeld. Und das geht bei uns über ausdrucksstarke Formen, die wir nicht nur bei Sonderbauten, sondern auch bei eher profanen Aufgaben einsetzen. Bei „Appearing Sculptural“ wollten wir diesen Aspekt unserer Arbeit auf eine ähnlich reduzierte Weise darstellen. Eben nur mit den weißen Modellen und vor allem den Filmen von Andreas Waldschütz.

Ist Euer skulpturaler Ansatz auch eine Reaktion auf die starke Landschaft, in der Ihr lebt und arbeitet?
Bernhard Marte: Nein, jedenfalls nicht in einem allgemeinen Sinn. Wichtig ist für uns allein der spezifische Kontext, auf den wir mit unserer Architektur reagieren:  Also nicht die Landschaft an sich ist entscheidend, sondern der besondere Ort in der Landschaft. Skulpturale Formen sind oft das beste Mittel für das, was wir mit einem Gebäude erreichen wollen. Wir verlassen uns dabei aber auch auf unser Gefühl und skulpturale Formen liegen uns einfach.

Stefan Marte: Außerdem ist eine skulpturale Formensprache auch ein Mittel, um die Dinge aufs Wesentliche zu reduzieren. Denn Reduktion um ihrer selbst willen ist sinnlos, wenn nicht am Ende etwas Besonderes steht. Für uns ist das eben oft eine starke Form.

Ihr arbeitet viel mit Beton und anderen „schweren“ Materialien. Hättet Ihr auch mal Lust auf etwas Leichtes?

Bernhard Marte: Wir sind immer wieder unglaublich beeindruckt von leichten Gebäuden und falls sich die Situation ergibt, könnten wir uns das auch vorstellen. Aber man kann schon sagen, dass uns das Schwere, das fest Verortete, näher steht. Viele unserer Bauten haben beispielsweise einen schützenden Charakter – dafür ist Beton vielleicht besser geeignet.

Stefan Marte: Ja, eher Mittelalter als Science Fiction, das mag schon stimmen. Wobei man sagen muss: Wir haben zwar den Ruf, immer Beton zu suchen, aber oft sucht der Beton auch uns. Ein frei formbares Material passt oft am besten zu den Räumen, die wir uns vorstellen. Das hat dann aber nichts mit bestimmten Vorlieben zu tun, sondern entwickelt sich aus dem Projekt heraus. Kann also gut sein, dass mal eine Aufgabe kommt, bei der wir denken, dass es ein ganz zierliches und feines Gebäude werden muss und dann würden wir uns dem natürlich nicht verweigern.

Eure Brücken verkörpern mit ihrer Dynamik ja förmlich die Freude am Fahren. Seid ihr selbst gerne schnell unterwegs?
Bernhard Marte: Sagen wir so: Wir haben generell große Sympathien für die motorisierte Fortbewegung – wenn es um Geschwindigkeit geht, sind wir dabei. Wobei unsere große Leidenschaft jenseits der Straße liegt. Wir fahren nämlich beide seit unserer Jugend Geländemotorrad.

Stefan Marte: An der These mag schon was dran sein, stimmt. Aber was uns am Brückenbau vor allem fasziniert, ist das Gestaltungspotential. Infrastrukturbauten machen ja einen wichtigen Teil unserer Baukultur aus, doch gerade bei kleineren Projekten kümmert sich meist niemand um die ästhetische Wirkung. Dabei lässt sich mit wenig Aufwand viel erreichen und das versuchen wir auch aktiv zu thematisieren. Aber zumindest bei uns ändert sich da so langsam etwas.

Seit einigen Jahren arbeitet Ihr viel an Ausstellungsgebäuden. Was macht für Euch ein gutes zeitgenössisches Museum aus?
Stefan Marte: Das Wichtigste ist sicherlich, dass sich ein Museum bei aller Ikonenhaftigkeit, die heute oft gefordert ist, gut in sein Umfeld integriert. Denn bei den Innenräumen gibt es nie viel zu tun, sie sind ja meist durch das Programm genau vorgegeben. Aber mit der Frage, wie sich das Gebäude vor Ort positioniert, steht und fällt das Projekt.

Bernhard Marte: Neulich war ich mit HG Merz in Krems, wo er die Ausstellungsgestaltung unseres Museums macht. Wir haben lange über das Museum als einen dritten Ort gesprochen, also als wichtigen Aufenthaltsort neben Wohnung und Arbeitsplatz. Und damit verändert sich die Rolle des Museums natürlich, was sich auch wieder auf die Architektur auswirkt.

Hier in Berlin wird gerade nach Euren Plänen das Deutschlandhaus zum künftigen Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung umgebaut. Was ist für Euch spannend an diesem Projekt?
Stefan Marte: Zunächst der Maßstab. Unsere bisherigen Umbauprojekte waren deutlich kleiner. Und das Deutschlandhaus mit seiner Architektur aus den Zwanzigerjahren ist einfach ein unglaubliches Gebäude, da steckt bis in die Details die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts drin: ein Stahlskelettbau mit klinkerummantelten Stützen und Steindecken, zerbombt, instandgesetzt, umgebaut, aufgestockt, drangebaut, jeder Meter irgendeine Überraschung.

Bernhard Marte: Zum Entwurfsprozess muss man sagen, dass wir die Arbeit im Bestand fast leichter finden, weil sich aus dem Kontext mehr Anhaltspunkte für die Gestaltung ableiten lassen. Die Umsetzung ist dafür dann umso schwieriger, jedenfalls was den Planungsaufwand angeht. So gleicht sich das dann wieder aus.

Unterscheidet sich Eurer Erfahrung nach das Bauen in Deutschland und Österreich?
Bernhard Marte: Wir kommen mit Vorarlberg ja aus einem Bundesland, in dem das Bauen sehr liberal gehandhabt wird. Und da fällt einem schon auf, dass in Deutschland vieles erst mal nach Vorschrift und Tabelle läuft. Aber das ist in Österreich vielerorts auch nicht anders. Außerdem kennt man sich in der Heimat halt einfach besser aus.

Stefan Marte: Und umgekehrt finden wir das Baugeschehen in Deutschland oft auch sehr beeindruckend. Hier passiert so viel, da werden in einem Jahr so viele Museen gebaut wie bei uns vielleicht in zehn. Das ist schon etwas ganz anderes, was natürlich auch einfach an der Größe liegt.

Ihr beide seid Brüder. Ist die Zusammenarbeit da immer harmonisch?
Stefan Marte: Wir sind jedenfalls nicht vollkommen gleichgeschaltet, wie man vielleicht denken könnte – im Gegenteil. Wir entwerfen zwar alles zusammen, aber gerade am Anfang sind wir oft sehr unterschiedlicher Meinung. Wenn wir uns schließlich einigen, ist das eigentlich immer auch die beste Lösung.

Bernhard Marte: Ich würde auch sagen, dass wir uns von Jahr zu Jahr eher mehr zu schätzen wissen. Das hat auch etwas mit einer generellen Dankbarkeit zu tun, denn von außen wird man ohnehin schon mit so vielen Widerständen konfrontiert. Da ist man einfach froh, dass man zu zweit ist und zumindest intern alles läuft. Lust zum Streiten hat man da eh keine mehr.

Ausstellung:
12. Dezember 2015 bis 14. Januar 2016
Ort: Aedes Architekturforum, Christinenstraße 18/19, 10119 Berlin


Video:




Zum Thema:

www.aedes-arc.de

Wo sitzt der Chef: Marte.Marte Architekten zeigen ihre Schreibtische – mehr in der Baunetzwoche#410 Chefsache


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