Berlin hat einen neuen Architekturpreis: den Urban Intervention Award Berlin, dessen Preisträger heute vormittag in einem Pressegespräch von der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vorgestellt wurden. Der Preis soll künftig regelmäßig, vermutlich alle zwei Jahre, für hervorragende „kreative, urbane Orte von hoher architektonischer Qualität mit Vorbildcharakter“ in ganz Europa vergeben werden.
60 Einreichungen waren – teils auf Einladung – aus 13 europäischen Ländern gekommen. Die interdisziplinäre Jury war neben der Stadtplanerin Regula Lüscher noch mit dem Architekturkritiker Bart Lootsma, dem spanischen Architekten Enrique Sobejano sowie der Künstlerischen Direktorin der Bundeskulturstiftung, Hortensia Völckers, besetzt. Sie wählte je einen Preisträger und vier Nominierungen in den beiden Kategorien „dauerhafte“ und „temporäre“ Bauten.
1. Preis der Kategorie „dauerhafte Gebäude“:
- Bibliothek und Lesepark in Torre Pacheco (Spanien) von Martin Lejarraga
Die Nominierungen gingen an:
- A8ernA, Zaanstad (Niederlande), von NL Architects und Carve
- Besiktas Fishmarket, Istanbul (Türkei), von GAD Architects
- Lesezeichen Salbke, Magdeburg, von KARO und Architektur + Netzwerk
- Zamet Center in Rijeka (Kroatien) von 3LHD Architects
1. Preis der Kategorie „temporäre Gebäude“: - Die Stadtküche, Berlin-Neukölln, von Daniel Unterberg und Isabell Weiland
Die Nominierungen gingen an:
- Eichbaumoper in Mülheim von raumlaborberlin
- Jellyfish Theatre in London von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser
- Pop Up – Public Construction Site, Stuttgart, von Umschichten
- Prothesis Institutiona, Castellon (Spanien), von Santiago Cirugeda
Mit der Aufteilung in einen Preisträger und vier Nominierungen soll die Gleichwertigkeit vieler Einreichungen betont werden. Der erste Preis besteht übrigens – neben einer Urkunde und einem Pokal – aus einer Reise: Martin Lejarraga wird nach Berlin eingeladen, Daniel Unterberg und Isabell Weiland dürfen nach Torre Pacheco fahren. „Wir werden diese Reisen natürlich mit einem Programm begleiten“, versprach Lüscher, „bei dem sich die Preisträger auch kennenlernen sollen, und wir hoffen, dass daraus neue Netzwerke entstehen können.“
Kommentar der Redaktion:Auch im dritten Jahr weiß man in Berlin noch nicht so ganz genau, was man von dieser Regula Lüscher halten soll. Da schreibt sie in der Einleitung zu diesem Preis, dass sie selbst die Idee dazu schon kurz nach ihrem Amtsantritt hatte, und dann führt sie durch die Ausstellung, als würde sie diese zum ersten Mal sehen – selbst die Namen von raumlabor und Köbberling/Kaltwasser muss sie ablesen, um keinen Fehler zu machen. Auch muss man vermutlich kein Berufsskeptiker sein um ein leichtes Unwohlsein im Magen zu spüren, wenn die Berliner Senatsbaudirektorin bei der „Stadtküche“ insbesondere die Eigeninitiative der jungen Architekten und das Kosten-Nutzen-Verhältnis der minimalen Intervention lobt. Immerhin sind die Berliner Architekten alle unter den „temporären Projekten“ gelandet, während die „dauerhaften Gebäude“ – mit Ausnahme des Lesezeichens – alle außerhalb Deutschlands errichtet wurden.
Darauf angesprochen, reagiert sie aber charmant: „Natürlich ist das auffällig. Aber es zeigt doch auch, dass das kreative Potenzial durchaus vorhanden ist. Und ich würde mir wünschen, dass einige der Preisträger aus der temporären Kategorie in zwei, drei Jahren, wenn wir den Preis das nächste Mal vergeben wollen, in der anderen Kategorie zu finden wären.“ Gleichzeitig verweist sie, ohne konkreter zu werden, auf die Überlegungen einer neuen IBA in Berlin und auf die Freigabe des Tempelhofer Felds für „kreative Pioniernutzungen“. Man mag also das vage Gefühl, dass hier informelle Initiativen in Stuttgart, Mülheim, Linz und Rotterdam von offizieller (und auch noch Berliner!) Seite vereinnahmt werden, nicht ganz los werden.
Dennoch ist es ganz uneingeschränkt begrüßenswert, wenn sich bei einem solchen Preis Dauerhaftes und Temporäres auf Augenhöhe begegnen. Und man spürt – vielleicht zum ersten Mal – den Wunsch dieser Senatsbaudirektorin, sich ganz klar von ihrem Amtsvorgänger abzusetzen. Und dies gar nicht im Sinne einer konfrontativen Auseinandersetzung, dass nun alles ganz schnell ganz anders sein müsste, sondern vielmehr in einem kooperativen, vermittelnden Stadtverständnis, zu dem die unmittelbaren, aber temporären Aktionen ebenso gehören können wie die dauerhaften Gebäude. Beides ist Architektur und wird nur anhand seines Wirkungsgrades, nicht anhand seiner Größe, seines Budgets oder seines Verkaufswertes gemessen.
Nein, dieser Preis ist – insbesondere dafür, dass er zum ersten Mal verliehen wurde – eine äußerst positive Überraschung, und die gezeigten Projekte sind in der Tat
alle (!) vorbildlich und auf unterschiedlichste Arten bemerkenswert. Was sicher auch eine Leistung des Teams um Kristin Feireiss (Galerie Aedes) ist, die den Preis im Auftrag des Senats kuratiert hat.
Man kann sich insofern nur wünschen, dass in Berlin gerade vielleicht wirklich ein offener, undogmatischer politischer Wille wächst, der sich auf mehr Experimente einlässt und dabei das Große und Dauerhafte auf keinen Fall aus den Augen verliert – denn die großen Projekte werden über die Qualität unserer städtischen Räume entscheiden. Und gerade dort muss die Politik, da kann Regula Lüscher noch so oft auf den Geldmangel Berlins hinweisen, im Sinne einer architektonischen, stadträumlichen und landschaftsbezogenen Qualität für alle eingreifen, und vor allem bei den Investoren vermitteln, moderieren und beraten.
In der Vergangenheit ist das nicht allzu oft oder aber zu einseitig geschehen. Vielleicht entstehen dann ja bald offene öffentliche Räume in Berlin mit einem höheren Anspruch als nur die bekannten, beruhigten und vor allem: introvertierten Konsumflächen zu liefern (Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Friedrichstraße, etc., etc.). Könnte nicht auch ein Hotel am Hauptbahnhof verpflichtet werden, etwas für die Qualität seiner Umgebung zu leisten? In der Ausstellung sind dafür viele sehr gute Beispiele zu sehen, etwa das Bankgebäude von 3XN im dänischen Middelfart. Vielleicht sind ja beim UIAB 2013 schon neue Beispiele aus Deutschland dabei, deren architektonischer Mehrwert durch einen klaren, politischen Willen unterstützt wurde. Dann müsste wohl auch niemand mehr das Gefühl haben, vereinnahmt zu werden. (Florian Heilmeyer)
Offizielle Preisverleihung: Donnerstag, 25. November 2010, 18 Uhr
Ort: Alte Zollgarage, Flughafen Tempelhof, Platz der Luftbrücke, 12101 Berlin
Ausstellung: 26. November 2010 bis 10. Januar 2011, Mo-So 12-17 Uhr
Anfahrtsskizze und Anmeldung unter
www.stadtentwicklung.berlin.de
Zum Thema:
Download der Baunetzwoche#186 „Stadt als Beute - Urbane Interventionen“
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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Frank | 25.11.2010 19:29 UhrSozial und temporär
Der Sozialfall Architekt als Sozialarbeiter. Man nehme sich ein Beispiel. Wahrscheinlich hat Frau Lüscher so etwas in ihrer wilden Zeit auch gemacht (ich meine die Heilsarmee - Kochnummer), bevor sie verbeamtet wurde, wie der Größtteil der Jury übrigens auch.
Und damit schließt sich der Kreis. Wer keiner stumpfsinnigen Büroarbeit nachgehen will, macht eben solange einen auf "sozial und temporär" bis er in den Staatsdienst berufen wird. Wie wäre es, Frau Lüscher, wenn Sie uns mehr beispielhafte Perspektiven vermitteln könnten, als Kochkisten zu basteln? Assistentenstellen und Professuren sind rar geworden und bald zahlen die Eltern nicht mehr!