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10.08.2022

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Gebäudetyp E

Bayerische Architektenkammer startet Initiative für einfaches Bauen


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„E wie einfach beziehungsweise experimentell“ – es sind Projekte wie die drei Forschungshäuser im bayerischen Bad Aibling von Florian Nagler Architekten (München), die in mehrerlei Hinsicht wegweisend sind. Neben Erkenntnissen aus dem Vergleich konstruktiver und bauphysikalischer Eigenschaften liefern die im Rahmen des geförderten Forschungsprojekts „Einfach Bauen“ errichteten Wohngebäude den Beweis, dass die Komplexität heutiger Planungs- und Baupraxis durchaus reduziert werden könnte, vorausgesetzt man darf.

„Wir hätten diese Häuser unter normalen Planungsbedingungen niemals bauen können“, erklärte Florian Nagler anlässlich eines Fachgesprächs des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr im Bayerischen Landtag Ende Juni in München. Nagler plädierte dort für „mehr solcher Projekte, die über den Tellerrand hinausblicken.“ Es müsse auch ohne Forschungshintergrund möglich sein, Innovationen voranzutreiben. Gemeinsam mit einer Fachexpertengruppe setzte er sich vor den landespolitischen Fraktionen dafür ein, Architekt*innen einen erweiterten Handlungsspielraum für nachhaltiges und kostengünstiges Bauen zu ermöglichen. Denn dies geht mittlerweile aufgrund einer Vielzahl an Richtlinien und Anforderungen speziell an die technische Ausrüstung von Gebäuden zu Lasten von gestalterischen und räumlichen Qualitäten.

„Innovative Planung wird derzeit durch ein enges Korsett an Normen eingeschränkt“, so die Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer Lydia Haack vor dem Bauausschuss. Mehr als 3.000 Normen gelte es zu beachten. Aus ihrer Sicht bedürfe es daher „dringend“ einer „Diät, um sich vom Speckmantel aus Normen und Richtlinien zu befreien“. Die zum Standard erhobenen „Regeln der Technik“ sind jedoch zivilrechtlich bindend, „ohne zum Beispiel aus Gründen der Bauwerkssicherheit zwingend erforderlich zu sein.“ Bauvorschriften an sich zu entschlacken, sei jedoch unrealistisch, darüber sind sich viele einig. Der Vorschlag der Kammer ist daher die Einführung eines „Gebäudetyps E“, der neben dem bestehenden System der Gebäudeklassen in der Bauordnung ein „einfaches“ Bauen rechtssicher realisierbar macht. Dies wiederum setzt einige Bedingungen voraus.

Der Kammerinitiative nach gehört dazu eine „fachkundige Bauherrschaft“ die in der Lage ist, sich gemeinsam mit den Planenden auf die für notwendig erachteten Standards zu verständigen. Der Typ „E“ kennzeichne somit Gebäude mit einer reduzierten Einhaltung von Normen, für die jedoch als zweite grundlegende Voraussetzung die in der Bauordnung festgelegten Schutzziele wie Standsicherheit, Brandschutz, gesunde Lebensverhältnisse und Umweltschutz selbstverständlich gelten.

Den Vorschlag bekräftigte auch Architekt Florian Dilg vom Büro Architektur: Zwingel/Dilg (München), der im Rahmen des Fachgesprächs von eigenen Erfahrungen mit erhöhtem Kosten- und Materialverbrauch aufgrund überfrachteter Vorgaben etwa für die Elektroausstattung oder Schallschutzmaßnahmen berichtete. Auch er betonte, dass die Gebäudeklasse am bestehenden System in der Bayerischen Bauordnung nichts ändere, sondern einen neuen Planungsweg hinzufüge. Auch wäre laut Dilg dadurch die Umnutzung von Bestandsgebäuden einfacher möglich, „da der Wechsel der nutzungsspezifischen Anforderungen kein Hindernis mehr sein muss“.

Geladen hatte der Vorsitzende des Bauausschusses Sebastian Körber, der als Architekt selbst um die zunehmende Komplexität in der Planung und Baupraxis weiß. Neben Haack, Dilg und Nagler unterstützten auch Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau, Rechtsanwalt Olrik Vogel und Reinhard Zingler vom Verband bayerischer Wohnungsunternehmen die Expert*innenrunde. Letzterer konnte im Auftrag der zu dem Zeitpunkt noch amtierenden Geschäftsführerin der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München Gerda Peter von positiven Erfahrungen mit einem 2017 realisierten Modellprojekt berichten, das solch einer E-Klassifizierung entspräche.

Im Minimalprojekt der GWG in München-Sendling wurde von Seiten des Planungsteams aus Architektur, Energie-, Tragwerksplanung und Landschaftsarchitektur gemeinsam mit dem beauftragten Büro Franke Rössel Rieger Architekten (München) alle Standards etwa hinsichtlich Heizung-, Sanitär-, Elektroinstallationen, Barrierefreiheit, Schallschutz, Wärmedämmung oder Freiflächen hinterfragt und kritisch bewertet mit dem Ziel einer größtmöglichen Reduzierung der Bauwerkskosten und einer Kaltmiete unter 10 Euro pro Quadratmeter. Weitaus mehr Aufmerksamkeit will in dem Zusammenhang wohl das kürzlich vorgestellte Projekt Ein Haus für München von Florian Nagler ernten, der gemeinsam mit Euroboden mitten im Kreativquartier eine Wohnimmobilie mit 9,99 Euro Quadratmeterpreis plant.

Die Ende Juni im Landtag präsentierte Initiative wurde von allen Fraktionen positiv angenommen. Wichtig sei jedoch eine Festlegung von Minimalstandards und Vorgaben, die nicht verhandelbar sind. Interessant bleibt auch zu beobachten, wie die Bauindustrie auf den Gebäudetyp E reagiert. Bis sich die Planungspraxis des Instruments bedienen kann, dürfte es ohnehin ein langer Weg werden. Denn dafür bedarf es neben der Aufnahme des neuen Gebäudetyps in die Landesbauordnung auch einer Öffnungsklausel im §633 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die privatrechtliche Ansprüche auf die genormten Standards löst und den sachkundigen Bauherren mehr Freiheiten erlaubt, ohne den Verbraucherschutz zu schwächen. Aus juristischer Perspektive wäre eine mehrjährige Erprobungs- und Evaluierungsphase denkbar, bevor der Gebäudetyp E im Freistaat auf Bundesebene in Zivilrecht transferiert werden kann.

Auch aus anderen Länderkammern kommt positive Resonanz, während die Bundesarchitektenkammer in Berlin bereits aktiv wurde. Auf Anfrage erklärte BAK-Präsidentin Andrea Gebhard gegenüber BauNetz: „Das Bauen muss vereinfacht und entsprechende architektonische Lösungen gefördert werden. Die Bundesarchitektenkammer hat daher auf Initiative der Bayerischen Architektenkammer die länderkammerübergreifende „Task-Force Gebäudetyp E“ eingerichtet, um aufzuzeigen, wie das Bauen wieder auf den eigentlichen Kern, die Einhaltung der Schutzziele der Bauordnung, reduziert werden kann. Hier werden Möglichkeiten der rechtlichen Umsetzung auf bauordnungs- und zivilrechtlicher Ebene beraten sowie wichtige Fragestellungen „Gebäudetyp E“ erörtert, um sie an die Politik heranzutragen.“ (sab)

Fotos:
The Pk. Odessa Co / Lanz & Schels, Max Kratzer, Stefan Müller-Naumann


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

7

Max | 16.08.2022 13:01 Uhr

Barackenhäuser

Interessanter Ausdruck "Barackenhäuser". Schon mal eine Baracke mit Rundbogen oder Segmentbogen gesehen? Ich auch nicht. Im Projekt wurde aber interessanterweise der Begriff "Barackenklima" im Zusammenhang mit Holzhäusern verwendet, um die geringe Speichermasse darin zu beschreiben. Die fehlende Masse holt man sich hier dann aus den Geschossdecken. Alle Klingelschilder sind mit Namen belegt und es ist somit davon auszugehen, dass Menschen sich vorstellen können dort zu leben. Die Erkenntnisse für den Bauherren scheinen auch da zu sein; auf jeden Fall ist vor Ort schon die Ankündigung für die nächsten drei Häuser in wiederum drei anderen Bauweisen zu lesen.
Wer sich am Grau stört, dürfte "sein" Forschungshaus sicherlich auch Farbig anmalen oder Holzsichtig lassen oder sogar den Beton einfärben...unendliche Möglichkeiten.

6

Adrian | 15.08.2022 13:39 Uhr

will einer

@solong:

will einer ernsthaft in verschachtelten Grundrisse, Durchgangzimmern, mit peinlich verzierten Fassaden, ungedämmten Wänden und innenliegenden Bädern wohnen, bei denen man auf schlichtem, quitschenden Dielenboden läuft - wohnen?

Und dann zogen Sie alle in Gründerzeithäuser...

5

°_° | 11.08.2022 16:36 Uhr

@ ...

Es geht hier nicht um neue Wohnungsbaukonzepte, es geht um Angemessenheit im Bauen insgesamt. Das ist dringend notwendig, vor allen Dingen aus ökologischer Sicht ...

4

solong | 11.08.2022 10:52 Uhr

... will einer ...

im ernst ... die 3 forschungshäuser ... im "barrackenlook" oder das schlecht ausgeführte 50er remake minimalprojekt ... als fortschritt im wohnungsbau in einem der reichsten länder der welt propagieren ...

3

°_° | 10.08.2022 18:32 Uhr

Die richtige Richtung!

wird hier eingeschlagen. Das ist super, war längst überfällig und wird spannend zu beobachten bzw. mitzugestalten. Vielleicht entsteht so auch ein Weg sich vom Einfluss der Bauindustrie zu emanzipieren und nach gesundem Verstand und Erfahrung zu bauen.

2

M. | 10.08.2022 16:19 Uhr

Und wenn ich nicht mehr weiterweiß

...gründ' ich eine Taskforce.

Der Gedanke mit neuen Regelungen weniger Regelungen zu erreichen ist interessant.
Frau Haack fand neulich bei einer BDA Veranstaltung in Stuttgart unseren Ansatz, es halt einfach richtig zu machen "unterkomplex".

Dem Russen wird's egal sein, wenn er kommt.

1

Hinrich Schoppe | 10.08.2022 16:07 Uhr

Kompetenz...

... scheint nun mal mehr das Gegenteil von Fortschritt zu sein. Fortschritt bedeutet in vielerlei Hinsicht eben auch das "Fortschreiten" von ehedem vorhandenen Kompetenzen, wozu m.E. auch der gesunde Menschenverstand gehört.
Nach meiner Meinung zielt diese Initiative des "Rückschrittes" zum "einfachen Bauens" genau in die andere, m.E. richtige Richtung, die den Bauherren bzw. Bewohner und dessen vielleicht noch vorhandene Kompetenz mit einbezieht.
Ich weiß doch als Bewohner, wann ich was wie benötige, dass ich lüfte oder Fenster schließe oder heize oder mir auch mal einen Pulli anziehe und im Winter nicht unbedingt barfuß herumlaufen muss.
Das muss möglich sein, auch ohne sofort nach dem Gutachter und Anwalt zu rufen, die sich nur darüber freuen, dass es so viele Vorschriften gibt, aus denen man Geld generieren kann.
Dieser Rundumsorglosallesgehtautomatisch-Wahn, der insbesondere von den "Smarthome-Verfechtern propagiert wird schafft genau die Kompetenzlosigkeit, die sofort nach fremder Hilfe ruft anstatt selber einmal nachzudenken.
Ich bin begeistert, wenn es endlich eine Initiative gibt, die sich dem entgegenstellt. Zumindest muss es möglich sein, dass sich ein Bauherr und ein Artchitekt auf so etwas einigen dürfen, meinetwegen auch vertraglich oder notariell abgesichert, damit die armen Juristen nicht ganz verhungern.
Der Vorstoß von Herrn Nagler mit dem drei Forschungshäusern war ja bereits ein erster Coup, dem nun der zweite folgt.
Ich warte auf den dritten Streich, und dann den Pritzker-Preis für ihn und seine Mitstreiter, für so viel Mut im Angesicht derartig vieler Lobbyisten, die so etwas gar nicht gerne sehen.
Danke!

 
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Die drei Forschungshäuser in Bad Aibling von Florian Nagler Architekten

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Das „Minimalprojekt“ der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München von Franke Rössel Rieger Architekten

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