RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Bauten_des_Bundes_1949-1989_6639360.html

21.06.2019

Zurück zur Meldung

Buchtipp: Demokratie als Bauherrin

Bauten des Bundes 1949-1989


Meldung einblenden

Es war für zwei Dekaden womöglich das bekannteste Bild in der Tagesschau: Kam ein Beitrag aus Bonn, zoomte die Kamera immer kurz auf Henry Moores Großplastik „Large Two Forms” vor dem flachen Rasterbau des Bundeskanzleramts. So nüchtern-sachlich dessen Architektur auch ist – der FAZ-Kritiker Eberhard Schulz erkannte in dem Kanzleramt die „Kreuzung von Intimität und emsiger Computerintelligenz der Ära Brandt“ – so sehr besaß das Gebäude von 1974 der Planungsgruppe Stieldorf eine hohe symolische Bedeutung in der Öffentlichkeit.

Wie die Bautätigkeit der Bundes in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, hat die Architekturhistorikerin Elisabeth Plessen in ihrer umfangreichen Publikation Bauten des Bundes 1949–1989. Zwischen Architekturkritik und zeitgenössischer Wahrnehmung aufbereitet. Mit dem Bundeskanzleramt der Gruppe Stieldorf, so zeigt Plessen, war Bonn als Hauptstadt gesellschaftlich manifest geworden. Erst zwanzig Jahre nachdem die Stadt am Rhein 1949 zur Interimskapitale der Bundesrepublik geworden war – weshalb alle frühen Regierungsgebäude stets unter dem Credo des Provisorischen standen! – plante der Bund ein Haus, das auch ganz offiziell dauerhaft genutzt werden sollte. Zum ersten Mal seit dem Ende des Krieges wurde deshalb 1971 ein öffentlicher Wettbewerb ausgelobt. Und wie empfand man schließlich das architektonische Gesicht der bundesrepublikanischen Machtzentrale am Rhein? „Landläufig, geschäftsmäßig – wie eine Sparkasse“, zitiert Plessen Helmut Schmidt.

Plessen hat ein enormes Konvolut angelegt: Alle öffentlichen Bauaufträge des Bundes von 1949 bis 1989 hat sie in ihrer kiloschweren Publikation zusammengetragen. Diesem reichhaltigen Katalog hat sie eine lesenswerte Medienanalyse vorangestellt. Von der frühen Nachkriegszeit und dem provinziell empfundenen Bonn, wo regelmäßig ein Schäfer mit seiner Herde an den ersten Bundesbauten vorbeizog, bis zu den späten Achtzigerjahren, in denen Helmut Kohls großgestische Pläne für das Deutsche Historische Museum in Berlin ein neues deutsches Selbstbewusstsein belegen, begleitet Plessen die Genese der BRD anhand der medialen Darstellung ihrer staatlichen Bauprojekte.

Plessens ausführliche – man kann vermuten: lückenlose – Recherche der deutschen Pressestimmen macht deutlich: Die Gesellschaft der BRD war von 1949 bis 1989 durch ihre faschistische Vergangenheit und die Vorläufigkeit des Staatskonstrukts verunsichert. Sensibel beobachtete die Öffentlichkeit, wie sich die „Demokratie als Bauherr” äußerte. Die gespaltenen Reaktionen auf die Residenz des Botschafters in Washington spiegelt dieses unbeständige Verhältnis der Menschen zu ihrem Interimsstaat wider. Die FAZ bezeichnete das in der Vorwendezeit geplante und 1994 eröffnete Repräsentationsprojekt von Oswalt Matthias Ungers mit seinem monumentalem Portikus als befremdlichen „Tempel eines neuen Gottes”, während die Berliner Zeitung geradezu erleichtert war, darin eine „neu-preußische Ästhetik” zu sehen. Architekturkritik an Bundesbauten war immer auch zeitgenössische Gesellschaftskritik.

Text: Sophie Jung

Bauten des Bundes 1949–1989. Zwischen Architekturkritik und zeitgenössischer Wahrnehmung

Elisabeth Plessen
675 Seiten
DOM publishers, Berlin 2019
ISBN 978-3-86922-518-0
98 Euro


 
Mein Kommentar
Name*:
Betreff*:
Kommentar*:
E-Mail*:

(wird nicht veröffentlicht)

Zur Durchführung dieses Service werden Ihre Daten gespeichert. Sie werden nicht an Dritte weitergegeben! Näheres erläutern die Hinweise zum Datenschutz.


Die Eingabe einer E-Mail-Adresse ist zwingend, um einen Kommentar veröffentlichen zu können. Die E-Mail ist jedoch nur durch die Redaktion einsehbar und wird nicht veröffentlicht!


Ihre Kommentare werden nicht sofort veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.



Henry Moore, „Large Two Forms”, 1966–69 (Aufstellung 1979), vor dem  Bundeskanzleramt in Bonn der Planungsgruppe Stieldorf

Henry Moore, „Large Two Forms”, 1966–69 (Aufstellung 1979), vor dem Bundeskanzleramt in Bonn der Planungsgruppe Stieldorf

Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ von Egon Eiermann; Ansicht von Osten, um 1970

Abgeordnetenhochhaus „Langer Eugen“ von Egon Eiermann; Ansicht von Osten, um 1970

Deutsche Botschaft in Rio de Janeiro (1956–1960), heute Generalkonsulat, von Schmidt + van Dorp Architekten

Deutsche Botschaft in Rio de Janeiro (1956–1960), heute Generalkonsulat, von Schmidt + van Dorp Architekten

Eingangsbereich der Residenz der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom von Alexander Freiherr von Branca

Eingangsbereich der Residenz der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom von Alexander Freiherr von Branca

Bildergalerie ansehen: 9 Bilder

Alle Meldungen

<

21.06.2019

Nautik bei Nature

C.F. Møller und Effekt planen Hafenareal im dänischen Svendborg

21.06.2019

Gastgeben

Ausstellung im Werkraum Bregenzerwald

>
baunetz CAMPUS
Learning from Grabs
baunetz interior|design
Große Freiheit auf kleiner Fläche
Baunetz Architekt*innen
KRESINGS
Stellenmarkt
Neue Perspektive?
vgwort