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24.11.2021

Statement gegen die Schachtel

Baustellenbesuch mit Peter Haimerl im Wabenhaus München


In München entsteht derzeit im Auftrag der Genossenschaft Wogeno ein Wabenhaus. Das Konzept: durchgesteckte Röhren mit hexagonalem Schnitt, keine Treppenhäuser, kaum eine konventionelle, gerade Wand. Der Standort: die Messestadt Riem am östlichen Stadtrand. Warum gerade hier so ein Experiment richtig verortet ist, wird beim Baustellenbesuch deutlich.

Von Sabina Strambu

Die Stadterweiterung für 20.000 Menschen auf dem ehemaligen Flughafengelände in München-Riem nimmt Formen an – mitunter auch ungewöhnliche. Das letzte freie Grundstück im 4. Bauabschnitt mit Wohnnutzung hatte die Wogeno erworben. Die Müchner Genossenschaft verfolgt einen sozial orientierten, selbstverantworteten und partizipativen Ansatz, in Riem ist sie bereits im Kontext des Projekts San Riemo vertreten. Für den Neubau in der Den-Haag-Straße beauftragte die Wogeno 2018 den Architekten Peter Haimerl, der bekanntlich weit über den Standard hinausdenkt.

Zu diesen Gedanken gehört auch, die stadtplanerischen Sünden der vergangenen Jahrzehnte zu hinterfragen. Ausgehend von seiner Konzeptarbeit zoom Town, in der er den Stadtraum durch ein Mobilitätsnetz und bauliche Dichte neu aufteilt, stößt er sich immer wieder an der Stagnation realer Stadtentwicklungen, gerade auch hier in Riem. Tatsächlich findet man rund um die Den-Haag-Straße zwar weitgehend autofreie, aber streng gerasterte Wege, im Schachbrettmuster angeordnete Baugrundstücke, Quader mit einheitlichen Fassaden, akkurate Abstandsflächen und viel ungenutzten Zwischenraum. „Das hat nichts mehr mit Stadt zu tun“, sagt Peter Haimerl, „das sind alles nur gereihte, in sich optimierte Schachteln.“

Das Wohngebäude aus gestapelten Wabenröhren musste sich zwar ebenso dem Bebauungsplan unterordnen, bringt aber Abwechslung ins Fassadenbild und folgt einer ganz eigenen Raumlogik, die erst bei der Begehung richtig deutlich wird. Häuser mit vorgelagerten Wabenformen gäbe es einige, erklärt Haimerl, „doch bei uns sind die Sechseckröhren durchgesteckt, das ist das Besondere.“

Besonders sind dadurch auch die Flächenausnutzung und das Erschließungskonzept. Da jeder Raum in eine andere Ebene hineinragt und es fast ausschließlich schräge Wandflächen gibt, lassen sich allein über die Raumgrenzen die nächsten Ebenen und Räume erschließen. Treppenhaustürme im klassischen Sinn gibt es hier nicht. Mit einem regelmäßigen Sechseck hätte das nicht funktioniert, da die Winkel ungünstig sind. Die Wabe wurde daher so lange gestaucht, bis die Seitenfläche der Treppen-DIN entsprach.

Längs durch das Gebäude verläuft die alles erschließende „Himmelsleiter“, von der aus beidseitig 15 Wohneinheiten zugänglich sind. Diese wiederum sind entweder als 2-Zimmer-Wohnungen oder als WG-Cluster mit Gemeinschaftsräumen und -küchen zusammengefasst. Innerhalb der Clusterwohnungen geht man über schräge Wände in die weiteren Zimmer oder Raumteile über, jede Einheit hat mindestens einen Balkon. Im Erdgeschoss wird es einen Quartiersladen geben, einen Kindergarten und gemeinsam nutzbare Aufenthaltsräume, auf dem Dach nistet sich zwischen den höchsten Waben ein Dachgarten ein.

Durch die Form entstehe ein größeres Raumgefühl und eine höhere Wirtschaftlichkeit, so das Versprechen. Jenseits der geraden Box verbirgt sich zusätzliche Fläche, die durch Einbauten und eingepasste Objekte nutzbar gemacht wird. Hierfür tüftelt das Büro Haimerl derzeit etwa an 3D-gedruckten Möbeln, die mit der Wand organisch verschwimmen, oder an multifunktionaler Einrichtung, die das Volumen perfekt ausnutzt. An der Innenarchitektur wird gemeinsam mit der Wogeno und den zukünftigen Bewohner*innen gearbeitet, die laut dem Architekten vom ersten Tag an dem Experiment gegenüber sehr aufgeschlossen waren.


Auf dem Grundstück der Wogeno entsteht neben dem Wabenhaus noch ein weiteres Wohngebäude, ebenfalls nach Entwürfen des Büros Peter Haimerl . Architektur. Die Planung der Außenanlagen übernehmen Keller Damm Kollegen (München). Im sogenannten Gartenhaus ist der Entwurf klassich: zwei Treppenhäuser, Aufzugschächte, ausschließlich barrierefreie Wohnungen, Laubengänge und – die senkrechte Wand. „Wir wollten eine Auswahlmöglichkeit geben, wenn die Leute nicht unbedingt in den Waben wohnen wollen, können sie das auch in einer Standardwohnung tun“.

Beide Gebäude haben eine Struktur aus Beton und werden nach Passivhausstandard errichtet. Dazu wird es eine konventionelle Dämmung geben, eine Holzverkleidung und Aluminiumgeländer für das Gartenhaus sowie ein Lochblechvorhang entlang der Südseite. Während an der finalen Balkongestaltung des Wabenhauses noch getüftelt wird, gehen Haimerls Pläne bereits weit über Riem hinaus. Die Wabe könnte in Serie gehen, so die Idee. Die konventionelle Massivbauweise sei nur diesem Prototyp vorbehalten, vielleicht sind die Waben aber bald gänzlich vorgefertigte Module, etwa aus Holz.

Fotos: Edward Beierle


Zum Thema:

Über den Standard hinaus gedacht: ob mit dem jüngsten Konzertsaal am Haus Marteau in Lichtenberg, dem vielbeachteten Konzerthaus in Blaibach oder Haimerls Bestrebungen zum Bestands- und Werterhalt ländlicher Baukultur.


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Zu den Baunetz Architekt*innen:

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