In Berlin-Charlottenburg entsteht aktuell ein anspruchsvoller Holzbau nach Plänen des ortsansässigen Büros Christoph Wagner Architekt*innen CWA. Das Gebäude verdichtet eine Blockrandbebauung und wird nach Fertigstellung Wohnraum für die LSBTI*-Community aufnehmen. Er entsteht im Auftrag der Schwulenberatung Berlin, die 2009 das Grundstück im Erbbaurecht erwarb und das Vorderhaus zu einem barrierefreien Mehrgenerationenhaus für schwule Männer umbauen ließ.
Von Sophie Marthe
Der Neubau fügt sich mit zwei unterschiedlich großen Baukörpern und einem eingestellten, offenen Treppenhaus zwischen den Nachbarbauten ein. Beim Besuch der Baustelle steht das Gebäude im Rohbau. Auf einem Erdgeschoss aus Ortbeton sitzen vier Stockwerke, die einschließlich des Aufzugsschachts und der Brandwände in Brettsperrholzbauweise errichtet sind. Sie werden die Wohngrundrisse aufnehmen, während im Sockel Berautungs- und Büroräume vorgesehen sind. Das ungedämmte Untergeschoss wird eine Fahrradgarage beherbergen.
Die Planung stammt von Christoph Wagner und Wenke Schladitz in Zusammenarbeit mit Florian Böhm und David Ruic. Die Umsetzung des Holzbaus verantwortet die Berliner Firma CLT Holzbau Hoock. Nach einer Planungsphase von knapp drei Jahren haben die Bauarbeiten Ende 2023 begonnen und sollen im Oktober kommenden Jahres abgeschlossen sein. Auf einer Bruttogrundfläche von rund 3.500 Quadratmetern entsteht Mietwohnraum für etwa 50 Menschen.
Heterogen und herausfordernd
Die Klientel ist heterogen und soll in dem Gebäude eine Umgebung gegenseitiger Unterstützung und Gemeinschaft erfahren. Dazu handeln die Architekt*innen private Rückzugsräume und gemeinschaftlich genutzte Flächen miteinander aus: Mit Ein- bis Dreizimmerwohnungen, Wohngemeinschaften und zwei Clusterwohnungen schaffen sie Raum für unterschiedliche Formen des Zusammenlebens. Jede Wohneinheit beziehungsweise jedes individuelle Zimmer erhält eine eigene Loggia nach Süden.
Der Holzbau bietet den Planenden mit einem Konstruktionsraster von drei Metern die notwendige Flexibilität für die variierenden Grundrisse. Dass die Wohnungstrennwände nicht übereinander angeordnet werden, stellte jedoch insbesondere für den Schallschutz eine Herausforderung dar, berichtet Wagner. Die Folge: Ein hoher Planungsaufwand unter anderem für komplexe Boden-Deckenanschlüsse sowie die Notwendigkeit zusätzlicher Vorsatzschalen an einhausenden Wänden.
Höhenstaffelung
Die Clusterwohnungen waren den Architekt*innen ein besonderes Anliegen. Die Typologie biete ebenso große Potenziale für gemeinschaftliches Wohnen wie sie Herausforderungen mit sich bringe, erläutert Schladitz. Die Einheit im ersten Obergeschoss nimmt acht Zimmer auf, die sich im Süden an einen langen Gemeinschaftsraum reihen. Dort suggerieren unterschiedliche Ebenen einzelne Nutzungsbereiche, die über den Laubengang separat erschlossen werden können.
Die Höhenstaffelung setzen die Planenden über alle Geschosse fort – trotz aufwendiger Details im Holzbau. Mit der differenzierten Gebäudehöhe und Fassadengliederung soll auf den städtebaulichen Kontext reagiert und der Neubau sensibel in den Bestand eingefügt werden. Gleichzeitig soll das Gefälle im Laubengang eine räumliche Dynamik erzeugen und den Effekt eines Tunnels vermeiden. Details wie Bögen oder halbrunde Bodenausschnitte in gemeinschaftlich genutzten Bereichen ergänzen den Entwurf.
Neun Meter Holzstützen
Wie die übrige Konstruktion ist auch das Tragwerk der Laubengänge aus Holz gefertigt – mit Ausnahme der Bodenplatten, die aus Stahlbetonfertigteilen bestehen. Kräftige Holzstützen säumen die außenliegenden Erschließungswege und lassen den Eindruck eines Wandelgangs entstehen. Über neun Meter laufen die Stützen vom ersten bis ins oberste Geschoss in einem Stück durch. Das bietet mehrere Vorteile: Zum einen werden anfällige Stoßstellen im Sinne des konstruktiven Holzschutzes vermieden, zum anderen dienen vorab eingefräste Kerben als präzises Aufmaß für die Montage der Unterzüge.
In der Umsetzung bedeutete das Millimeterarbeit. Nachdem das Stützenraster aufgestellt war – verankert am Betonsockel und teilweise provisorisch am Gebäude –, pendelte jede Bodenplatte an einem Kran erst minutenlang aus, um dann in das Stützenraster eingefädelt zu werden, wo sie nun auf im Zickzack verlaufenden Unterzügen aus Holz aufliegt.
Leichter experimentieren, Erfahrungen bündeln
Der Holzbau bietet durch seinen hohen Vorfertigungsgrad Vorteile bei Bauzeit und Logistik. Gleichzeitig sind die Anforderungen aus dem Brand- und Schallschutz bei Holzwohnbauten besonders anspruchsvoll und stellen die Planenden vielfach vor knifflige Aufgaben. Für Christoph Wagner könne der Gebäudetyp-e daher nicht schnell genug kommen. Gleichzeitig verweist der Architekt aber auch auf fehlende praxisbezogene Regelungen für den Massivholzbau mit Bezug auf die DIN 4109: Planende sollten nicht bei jedem Holzbau dieselben Fragen aufs neue erforschen und auch noch dafür haften müssen, so Wagner.
Bis zum geplanten Termin der Fertigstellung vergeht noch etwa ein Jahr. Der Bau ist bereits weit fortgeschritten, doch einige Entscheidungen sind noch offen, wie etwa die Farbe der geplanten Wellblechfassade. Die Warteliste hingegen für die entstehenden Wohneinheiten ist bereits lang – von etwa 1.000 Einträgen berichtet Marcel de Groot von der Schwulenberatung Berlin.
Auf Karte zeigen:
Google Maps