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01.03.2022

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Reprogrammierung des Raums

Baustellenbesuch in Zürich bei Edelaar Mosayebi Inderbitzin


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In der Stampfenbachstrasse in Zürich errichten Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekt*innen derzeit das Performative Haus. Aufbauend auf Wohnexperimenten an der ETH Zürich ist es der erste großmaßstäbliche Versuch, den Bewohner*innen mittels beweglicher Wände und flexiblen Mobiliars die Entscheidung für die Raumkonfiguration weitgehend selbst zu überlassen. Auf bestehendem Fundament wird das Projekt vollständig in Massivholzbauweise errichtet. Ein Baustellenbesuch gibt Einblicke in das Modellprojekt.

Von Alexander Stumm

Die Ausgangsthesen: Die Umstände unserer Leben ändern sich öfter, die Formen unseres Zusammenlebens werden vielfältiger, ein hoher Grad an Flexibilität wird in vielen Berufsfeldern inzwischen vorausgesetzt. Der Wohnraum und die Wohngrundrisse dagegen bleiben statisch – und zementieren damit überkommende gesellschaftliche Normen. Inzwischen gibt es Bestrebungen, mit Clusterwohnungen oder der Zuschaltung von Räumen wie jüngst beim vielbeachteten San Riemo von Arge Summacumfemmer Büro Juliane Greb der neuen Pluralität gerecht zu werden. Die in Zürich praktizierenden Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekt*innen (EMI) dagegen setzen beim Raum selbst an, den es zu reprogrammieren gilt. Die einzelnen Wohnungen in der Stampfenbachstraße besitzen eigentlich keine Räume mehr und werden auch ohne die ansonsten obligatorische Angabe der Raumanzahl vermarktet. Aber auch das in der klassischen Moderne entwickelte, frei fließende Raumkontinuum trifft darauf nicht ganz zu. Vielmehr ist das Performative Haus ein Hybrid, das die Bewohnenden selbst entscheiden lässt.

Für diese bisher beispiellose Wohnflexibilität kommen drehbare Wandpaneele und schwingbare Schranksysteme zum Einsatz, die als Raumtrenner fungieren (können, nicht müssen). Jedes dieser Elemente ist an nur einer in Boden und Decke fixierten Stahlstrebe befestigt und erlaubt dadurch ein freies Schwenken bis zu 270 Grad. Auch die drehbaren Leuchten sind an dieser Stütze montiert. Das Schlafzimmer lässt sich mit dem Wohnraum und der Küche zusammenschalten oder abtrennen, gleiches gilt für das Bad. Je nach aktueller Wohnsituation – ob mit Partner*in oder ohne – oder wenn Besuch geladen ist, können so öffentlichere und privatere Bereiche umdefiniert werden.

Die Wohnungen mit den Grundrissgrößen von 26 bis 54 Quadratmeter sind nicht für Familien ausgelegt, sondern für die rund 60 Prozent der Single- und Zweipersonenhaushalte in der Schweiz. Dreißig Zentimeter hohe Podeste bieten nicht nur zusätzlichen Stauraum, sondern erleichtern auch den Umzug, denn sie können mit einer Matratze oder Kissen ausgestattet zugleich als Bett oder Sofaecke dienen. „Eine höhere Fluktuation der Bewohnerschaft ist bei diesem Projekt Teil des Konzepts“, so Projektleiter Fabian Lauener. „Es ist insofern in erster Linie ein Bauprojekt für die Nische der Young Urban Professionals. Aber es gibt auch ein erstaunliches Interesse von Menschen ab 60, die ihre Wohnsituation verkleinern oder wieder in die Stadt wollen.“

Die Idee geht zurück auf das Projekt Vacancy – No Vacancy, ein Mock-Up zum Thema performative Kleinwohnung der Professur Mosayebi an der ETH Zürich. Es war zugleich experimentelles Studienobjekt und „Data-Mining-Projekt“, wie Elli Mosayebi im Interview mit BauNetz ID Anfang 2020 erklärte. Über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren durften Studierende, Singles, Rentner*innen und Tourist*innen nach Anmeldung eine Woche lang Probewohnen, wobei Drehwinkelsensoren an Türen, Fenstern, Schrankeinbauten und Stauraumschubladen die „Performanz“ des Hauses messen konnten. Daraus ergab sich die Erkenntnis, wie intensiv die beweglichen Bauteile tatsächlich genutzt wurden.

„Viele konstruktive Fragen und technische Details wie Metalllager und die rollbaren Schubladen der Podeste konnten wir dank des Versuchsbaus für das Projekt Stampfenbachstraße klären und optimieren“, erklärt Lauener. „Eine Wunschliste gab uns Aufschluss darüber, was vermessen wurde, darunter so einfache Dinge wie eine Kleiderstange.“ Denn auf eigene Möbel soll in weiten Teilen verzichtet werden können.

Die Wohnungen sind in den vier Regelgeschossen modular ausgeführt. Die Mehrzahl ist durchgesteckt von der lauten Stampfenbachstraße zum ruhigen Innenhof. Die kleinsten Wohnungen haben die größten Balkone. Die vier Wohnungen im Dachgeschoss wirken mit Shed- und rhombenförmigen Fenstern besonders großzügig. Im in Beton ausgeführten Erdgeschoss finden sich drei Wohnungen, darunter eine größere mit 94 Quadratmetern. Alle besitzen Zugang zum ruhigen Garten, der auf der Höhe der früheren Tiefgarage angelegt wird. Ob der leichten Hanglage besteht im Erdgeschoss und insbesondere bei der Wohnung im Knick jedoch die Gefahr, dass trotz einer Raumhöhe von über drei Metern nicht genug Licht einfällt.

Das Projekt ist ein Ersatzneubau für zwei Gebäude an der Stampfenbachstraße Ecke Laurenzgasse aus den 1980er-Jahren. Im Fall der Konstruktion entschied man sich für die im Mock-Up erprobte Massivholzbauweise mit kreuzverleimten Sperrholzplatten (CLT). Da man dadurch 30 Prozent Gewicht im Vergleich zum Vorgängerbau einsparte, konnte das Fundament weitergenutzt werden. Selbst für die zwei Aufzugschächte der Erschließungskerne kam man, wie jüngst schon das Kulturhaus in Schweden von White Arkitekter, ohne Beton aus. Lediglich die beiden, sich eng hochwindenden Treppen sind in Stahl ausgeführt.

Alle Wand- und Deckenelemente sind aus massivem Fichtenholz und werden vorgefertigt auf die Baustelle gebracht. Die zweischaligen Wände besitzen zweimal 12 Zentimeter CLT um eine 20 Zentimeter dicke Dämm- und Schallschutzschicht. Wände und Decken werden in hellem grau und weiß gestrichen, die Holzoptik bleibt erhalten. Die Elektrik ist im Boden verbaut, der mit einem Linoleumbelag versehen wird.

Am Außenbau wird von der innovativen Holzbauweise nach Abschluss der Arbeiten nichts zu sehen sein, denn die Straßenseite wird mit lamellenförmigen Aluminiumpaneelen verkleidet. An der großflächig verglasten Hofseite wird eine durchgehende Balkonkonstruktion aus Metall angebracht. Unterteilt sind die Balkone nur durch eine simple Stange und ausziehbare Vorgänge. Große Balkontüren sollen – ganz im Sinne des Performativen – im geöffneten Zustand  selbst die Trennung bilden. Die Podeste dienen in dieser Konfiguration zugleich als Sitzgelegenheiten für Balkonien. Eine Ausrichtung der Außenaktivitäten auf den Innenhof ist bei der stark befahrenen Stampfenbachstraße sinnvoll. Ob der schmale Grat zwischen Gemeinschaft und Privatsphäre gemeistert und die Grünfläche genug Attraktivität ausstrahlen wird, und wie sich die Lärmemissionen bei den offenen, durchgesteckten Wohnungen darstellt, wird sich bei der für Sommer 2022 geplanten Fertigstellung zeigen.


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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

3

maestrow | 03.03.2022 11:55 Uhr

Graubrot

@ Neutra l
Was spräche gegen ein gut gemachtes (Architektur-) Graubrot? Wovon es allerdings - hier haben Sie vollkommen recht - allenthalben weder in Berlin noch in Zürich ein reiches Angebot zu bezahlbaren Preisen gibt. Aber muss Wohnbau immer irgendwie nach der neuesten Sorte chai latte frapucino tönen und dann auch noch in verwinkelten Wort- und Raumfigurationen daherkommen? Mit Neutra könnten Sie richtig liegen. Die Hausgruppe wird im einschlägigen Architekturführer Berlin unter den beiden Architekten etwas missverständlich aufgeführt. Arger Fehler meinerseits! Danke für den Hinweis.

2

Neutra l | 02.03.2022 17:55 Uhr

Mal kein Graubrot?

Vielen Dank fuer die angefuehrte Referenz (Drehbuehnen), die laut einer schnellen google Recherche eher auf Richard Neutra zurueckgeht.

Der etwas polemischen Kritik meines Vorredners kann ich mich allerdings nicht anschliessen, was bei Neutra eher eine witzige Idee der Reprogrammierung zu sein schien, ermoeglicht hier interessante gestaffelte Raumfolgeoptionen.

Man muss die Ergebnisse der schweizer Experimentierlust nicht alle leiden, aber ein bisschen freier gestricketes, nicht so graues Graubrot wuerde uns hier definitiv gut tuen.

1

maestrow | 01.03.2022 18:43 Uhr

Reprogrammierung, wie geht das?

Was hier mit großem akademischem Wortgeklingel angekündigt wird, hat der gute Erich Mendelsohn vor recht genau 100 Jahren eleganter hinbekommen. Sogar ohne Forschungsförderung und smartes Sensorium. (Berlin-Zehlendorf, Onkel-Tom-Str.) Heute sind die Drehelemente allerdings nicht mehr vorhanden. Auch damals war es wohl zu viel des Drehens und Reprogrammierens für die einfacher Gestrickten vom Raum umhausten.

 
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Die CLT-Elemente werden vorgefertigt auf die Baustelle gebracht.

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Das sich im Bau befindende Performative Haus von der Stampfenbachstraße aus

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Schwingbare Wände werden unterschiedliche Raumkonfigurationen möglich machen.

Schwingbare Wände werden unterschiedliche Raumkonfigurationen möglich machen.

Visualisierung des fünfstöckigen Projekts Stampfenbachstraße in Zürich von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekt*innen: Straßenansicht mit Fassade aus Aluminiumpaneelen

Visualisierung des fünfstöckigen Projekts Stampfenbachstraße in Zürich von Edelaar Mosayebi Inderbitzin Architekt*innen: Straßenansicht mit Fassade aus Aluminiumpaneelen

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