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10.10.2023

Universum in Darmstadt

Baustellenbesuch beim Teilchenbeschleuniger


In einem Waldstück bei Darmstadt entsteht ein Teilchenbeschleuniger für die Erforschung kosmischer Materie. Ab 2026 soll die Anlage aus mehr als zwei Dutzend Bauwerken in Betrieb gehen. Baunetz hat die Baustelle besucht, auf der aktuell rund 1.400 Menschen arbeiten.

Von Sophie Marthe

In diesem Jahr begingen die Beteiligten das 15-jährige Bestehen des Großprojektes, das auf der Welt kaum Vorbilder hat. In der neuen Beschleunigungsanlage will man Zustände erzeugen, wie sie sonst nur im Universum vorkommen. Dazu sollen Ionen in einem Ringbeschleuniger auf 95 Prozent Lichtgeschwindigkeit gebracht werden, um sie dann in unterschiedlichen Experimenten auf Materialproben zu schießen.

Internationales Forschungsgroßprojekt

Für die Planung konnte sich 2008 die ARGE ion42 aus DGI Bauwerk (Berlin) und Schneider+Schumacher (Frankfurt am Main) in einem entsprechenden VgV-Verfahren durchsetzen. Die Baugenehmigung folgte 2012. Heute ist der Rohbau beinahe abgeschlossen. 30 Kilometer Bohrpfähle stecken im Boden, zwei Millionen Kubikmeter Erde wurden bewegt und circa 600.000 Kubikmeter Beton verbaut.

Verantwortlich für den Bau und Betrieb des Teilchenbeschleunigers mit dem Namen FAIR (kurz für Facility for Anti-proton Ion Research) ist eine Gesellschaft, der neun Partnerländer – neben Deutschland unter anderem auch Finnland, Polen, Indien und Russland – angehören. Als Gesellschafter vertritt die Bundesrepublik Deutschland das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, das den bestehenden, 50 Jahre alten Linearbeschleuniger auf dem benachbarten Grundstück betreibt. Die Zusammenarbeit mit den russischen Vertreter*innen ist derzeit ausgesetzt.

Form Follows Beam

Ein Strahlendiagramm, das den gewünschten Verlauf des Ionenstrahls am Standort nachzeichnet, diente den Architekt*innen als Grundlage für ihre Planung. Sie platzierten den Beschleunigungsring mit einer Länge von etwas über einem Kilometer in das nördliche Projektgebiet. Parallel zu diesem läuft ein zweiter Tunnel, der die Versorgungsinfrastruktur aufnehmen soll. Südlich schließen neben weiteren Tunnelanlagen Technikgebäude sowie die Experimentierplätze an, in denen der Ionenstrahl zum Aufprall gebracht wird.

Bei der Beschleunigung elektrisch geladener Teilchen auf große Geschwindigkeiten entsteht ionisierende Strahlung, die nicht nur bei Menschen erhebliche gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Daher beeinflussten auch Vorgaben aus dem Strahlenschutz die Konstruktion. Neben bis zu drei Meter starken Wänden und zum Teil über sechs Meter starken Decken aus Strahlenschutzbeton dienen Erdschichten der Abschirmung entstehender Strahlung. Aus diesem Grund, wohl aber auch weil sich die Forschung ungern in die Karten schauen lässt, liegt ein überwiegender Teil der Beschleunigungsanlage künftig unter der Erde.

Dieser Umstand wie auch die zahlreichen technischen Vorgaben, die bei einem solchen Bauwerk gelten, ließen den Architekt*innen nur einen geringen gestalterischen Spielraum. Inspiriert unter anderem von Ludwig Leos Rosa Röhre im Berliner Tiergarten, bei der die Funktion die äußere Erscheinung bestimmt, entstand jedoch die Idee, durch die oberirdisch sichtbaren Bauteile den Verlauf des Ionenstrahls anzuzeigen – Form Follows Beam. So zeigt die Visualisierung der Architekt*innen eine bewegte Landschaft, in der sich Gebäudeteile über der Oberfläche erheben, um kurz darauf wieder über weite, begrünte Dachschleppen darin zu versinken.

Noch schweben Türen und Fenster

Das Kreuzungsgebäude ist ein zentraler Ort in der Anlage und eine besondere Herausforderung für die Planer*innen, denn hier kommt künftig der vorbeschleunigte Ionenstrahl aus der benachbarten Anlage an und wird in den neuen Ringbeschleuniger sowie zu den Experimentierplätzen umgelenkt. Der technische Ausbau ist hier wie auch im Tunnel bereits im vollen Gange. Die Oberflächen sind fertiggestellt und an den Wänden stapeln sich die Kabeltrassen.

13,5 Meter unter der Erde ist die Tunnelschlaufe nur noch als Narbe in dem darüber liegenden Wald ablesbar. Auch die Bauten im südlichen Projektgebiet sind im Rohbau fast fertig. Letzte Deckenträger werden ausbetoniert und erste Fassadenplatten an den oberirdisch sichtbaren Bauteilen angebracht. Noch schweben Tür- und Fensteröffnungen weit über der Erde. Mehrere Meter wird hier das Gelände später wieder aufgeschüttet und zum Teil aufgeforstet. Die Freiraumplanung verantwortet das Büro WGF aus Nürnberg.

Nach Angaben des GSI Helmholtzzentrum belaufen sich die Projektkosten aktuell auf 3,3 Milliarden Euro. Der Bund und das Land Hessen übernehmen den überwiegenden Teil. Die Baukosten (Kostengruppen 300, 400 und Außenflächen) geben die Architekt*innen mit rund 1,1 Milliarden Euro an. 2012 war man laut Immobilien Zeitung noch von Investitionen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro ausgegangen und wollte 2018 fertig sein.

Fotos: Kirsten Bucher, Norbert Miguletz


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Zu den Baunetz Architekt*innen:

schneider+schumacher
DGI Bauwerk


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Baustellenübersicht (Aufnahme Sommer 2022)

Baustellenübersicht (Aufnahme Sommer 2022)

Der unterirdische Tunnel des Beschleunigungsrings wurde in sechs Bauabschnitten hergestellt. Künftig wird er, markiert durch einen Erdwall, in der Landschaft sichtbar bleiben. (Aufnahme Sommer 2022)

Der unterirdische Tunnel des Beschleunigungsrings wurde in sechs Bauabschnitten hergestellt. Künftig wird er, markiert durch einen Erdwall, in der Landschaft sichtbar bleiben. (Aufnahme Sommer 2022)

Für den Bau wurden circa zwei Millionen Kubikmeter Erde bewegt. Die Erde wird vor Ort gelagert und im Bau wiederverwendet. (Aufnahme Frühling 2022)

Für den Bau wurden circa zwei Millionen Kubikmeter Erde bewegt. Die Erde wird vor Ort gelagert und im Bau wiederverwendet. (Aufnahme Frühling 2022)

Insgesamt fünf Experimentierplätze wird es in der Anlage geben. (Aufnahme Frühling 2021)

Insgesamt fünf Experimentierplätze wird es in der Anlage geben. (Aufnahme Frühling 2021)

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