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09.09.2019
Brasilianische Black Box
Bauhaus Museum Dessau von addenda architects eröffnet
Mit dem gestern eröffneten Bauhaus Museum in Dessau hat das junge spanische Büro addenda architects sein erstes großes Projekt überhaupt realisiert. Es hatte sich vor vier Jahren in einem offenen Wettbewerb gegen 830 Konkurrenten durchgesetzt. Unser Fazit: Die heftig umstrittene Standortwahl macht Sinn, die Hülle ist problematisch, im Inneren geht das architektonische Konzept aber gut auf.
Von Gregor Harbusch
831 Einreichungen im Wettbewerb, zwei erste Preise wie sie unterschiedlicher nicht sein können, schließlich Beauftragung eines jungen Büros aus Barcelona – und nun steht da in Dessau eine langgestreckte, simple Glaskiste. Man kann es nicht leugnen: Einladend wirkt die Glashülle des neuen Bauhaus Museums von addenda architects aus Barcelona wirklich nicht. Mag sein, dass sie abends aufregende Einblicke bietet, aber an einem normalen Spätsommertag spiegelt sie einfach nur die Umgebung. Repräsentationsgesten sehen anders aus. Doch im Vergleich mit dem ungeschickt auftrumpfenden Bauhaus-Museum in Weimar, das vor fünf Monaten eröffnete, fühlt sich das nicht unbedingt falsch an.
Gleichwohl ist die Hülle der problematischste Teil des Neubaus. Das liegt unter anderem daran, dass die Visualisierungen des spanischen Büros aus dem Wettbewerb 2015 ein aufregendes Bild maximaler Transparenz produzierten, bei dem eine schwarze Box geheimnisvoll über dem Boden zu schweben schien und von einer leichten Hülle umfangen wird. Diese suggestiven Bilder hatten Erwartungen geweckt, die im Rahmen der Möglichkeiten einfach nicht zu erfüllen waren. Denn so charmant der Entwurf im Wettbewerb wirkte, so sehr mussten die Architekten in der Umsetzung Abstriche hinnehmen. Die ursprünglich geplante, überzeugend proportionierte Hülle aus Klarglas war finanziell nicht darstellbar, weswegen man sich für eine konventionelle Lösung und Floatglas entschied. Dass kurz vor Eröffnung für eine halbe Million Euro schmale vertikale Streifen aufgeklebt werden mussten, da bereits zu viele Vögel an der Glashülle ihr Leben ließen, ist bitter.
Black Box der brasilianischen Moderne
Addenda architects – die im Wettbewerb aus rechtlichen Gründen noch als González Hinz Zabala firmierten – hatten sich in der Endrunde gegenüber den seltsamen Zipfelmützen des New Yorker Büros Young & Ayata, die ebenfalls einen ersten Preis erhalten hatten, mit einer klaren und pragmatischen Form durchgesetzt. Die 1.500 Quadratmeter Fläche für die Dauerausstellung brachten sie in einer geschlossenen, auf zwei Treppentürmen ruhenden Black Box unter. 50 Meter überspannt der Sichtbetonriegel mit der Dauerausstellung das stützenfreie Erdgeschoss. An beiden Seiten ragt er nochmals je 18 Meter über die Treppentürme. Unterhalb dieser beiden Bereiche liegen Veranstaltungsräume und Büros.
Der Bezug dieser modernistisch klaren Raumkonfiguration zu den Bauhaus-Direktoren Mies und Gropius ist logisch, mindestens genau so wichtig ist Lina Bo Bardis Kunstmuseum in Sao Paulo. Bo Bardis schwebender Riegel über einem offenen Raum musste freilich an das deutsche Klima angepasst werden, weswegen die Glashülle notwendig wurde. Der Neubau schreibt sich also konzeptionell in die transatlantische Geschichte der Moderne ein, bei der Umsetzung hatten die jungen Spanier jedoch mit den ökonomischen und technischen Realitäten zu kämpfen. Immerhin: Die Kosten für den in nur 2,5 Jahren realisierten Neubau betrugen 28 Millionen Euro (je zur Hälfte von Bund und Land getragen) und liegen weitgehend im Rahmen der ursprünglichen Kalkulation.
Überzeugender Innenraum
Im Inneren ist von den Fassadenkompromissen wenig zu spüren. Hier geht das architektonische Konzept voll auf. Der weite Raum im Erdgeschoss begeistert in seiner Offenheit und beflügelt sofort die Fantasie darüber nachzudenken, was hier alles passieren kann. Große Türen oder gar Schiebewände, durch die der Raum direkt zum Stadtpark und zur Innenstadt geöffnet werden könnte, fielen dem Kostendruck zum Opfer. Umso überzeugender ist die konsequente Detaillierung, die sich ganz selbstverständlich an Werkstatt- und Industrieästhetik orientiert und immer wieder mit originellen Lösungen überrascht.
Der handwerklich rau gehaltene Sichtbeton soll programmatisch mit den kostenoptimierten standardisierten Materialien kontrastieren, wie Roberto González von addenda architects auf der Pressekonferenz betonte. Mutig ist das passive Klimakonzept der Halle: Die Fassade besteht aus einer Dreifachverglasung mit aufgedrucktem Sonnenschutz. Elf Meter hohe, transparente Vorhänge sorgen für zusätzlichen Schutz bei starker Sonneneinstrahlung. Im Bereich der Fassade gibt es am Boden und an der Decke Lufteinlässe. In den Fußboden ist eine Wasserleitung integriert, durch die Warm- oder Kaltwasser geleitet werden kann.
Die Standortfrage
Die Wahl des Standorts am östlichen Rand des Stadtparks macht plötzlich Sinn, wenn man in der großen Halle steht – denn hinter den hohen Scheiben entfaltet sich ein veritables Panorama der Architektur des 20. Jahrhunderts mit all ihren politischen Verwerfungen. Überreste aus der Vorkriegszeit, das üppige Grün des Stadtparks, ein Wohnhochhaus mit Waschbetonfassade, ein freundlicher Wohnungsbau der frühen Ostmoderne sowie zweifelhafte Revitalisierungsversuche aus der Nachwendezeit fügen sich zu einem komplexen und sinnhaften Bild, das den idealen Hintergrund für ein Nachdenken über das Erbe und die Aktualität des Bauhauses und der Moderne bildet.
Das ist freilich nur Nebeneffekt der heftig umstrittenen Standortwahl, in der sich die Politik gegen den damaligen Direktor der Stiftung Bauhaus Philipp Oswalt durchsetzte. Oswalt, der die Planung des Museums angestoßen und fünf Jahre lang begleitet hatte, wollte es in das historische Bauhaus-Ensemble einfügen, die Politik begriff den Neubau als eine Attraktion, um Besucher in das Stadtzentrum zu bringen und stellte ein Grundstück am Stadtpark zur Verfügung. Bekanntlich war der Streit ein Grund dafür, dass Oswalts Stelle nach dem üblichen Fünf-Jahres-Turnus nicht verlängert wurde.
Experiment statt Wechselausstellungen
In einem offenen Brief kritisierte Oswalt vor einigen Tagen, dass das neue Museum nicht die anfänglich geplanten 1.000 Quadratmeter Fläche für Wechselausstellungen habe und deswegen viel Potential verspiele, sich über einen anspruchsvollen Ausstellungsbetrieb weiter zu entwickeln. Denn Wechselausstellungen sind nur in drei kleinen Bereichen von je circa 30 Quadratmeter Fläche im Rahmen der Dauerausstellung möglich. Für Sammlungsleiter und Co-Kurator Wolfgang Thöner bietet die realisierte Lösung jedoch genügend Möglichkeiten. Außerdem könne man im Erdgeschoss mit Trockenbau jederzeit einen Raum im Raum schaffen; die entsprechende Klimatechnik, diesen dann museumstauglich zu machen, sei vorhanden. González betonte, dass sich sein Büro bereits im Wettbewerb gegen einen eigenen Saal für Wechselausstellungen und stattdessen für die offene Halle im Erdgeschoss entschieden hatte. Dass addendas Projekt gebaut wurde, ist also auch eine museumspolitische Entscheidung für performative und experimentelle Formate.
In der Dauerausstellung „Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung“ werden 1.200 Exponate gezeigt. Die Dessauer Bauhaus-Sammlung ist die zweitgrößte weltweit und wurde seit 1976 aufgebaut, nachdem das Bauhaus in der DDR kulturpolitisch rehabilitiert worden war. Highlights gibt es „leider zu wenige“ gesteht Sammlungsleiter und Ko-Kurator Thöner. Stattdessen setzten er und seine beiden Kolleginnen Regina Bittner und Dorothée Brill auf Fülle und regen dazu an, Neues und auch Abseitiges zu entdecken. Angesichts der zunehmenden Erstarrung des Phänomens Bauhaus in ikonischen Objekten ist das kein Nachteil, bedauerlich ist allein der Mangel an Texten in der von chezweitz (Berlin) gelungen inszenierten Ausstellung, die sich auch vor sinnlichen Settings nicht scheut.
Fotos: Thomas Meyer / Ostkreuz, Hartmut Bösener
Zum Thema:
Passend zur Eröffnung des neuen Museums findet von Mittwoch, 11. September bis Sonntag 15. September 2019 das Festival „Bühne Total“ in den Häusern der Stiftung Bauhaus Dessau sowie im Anhaltinischen Theater statt. Das Festival erinnert an die visionären performativen Ideen des Bauhauses und stellt aktuelle Experimente vor.
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Das Bauhaus-Museum in Dessau ist das erste große Projekt des jungen Büros addenda architects aus Barcelona.
Das Museum liegt als langer, vollständig verglaster und glatter Riegel zwischen dem Stadtpark und der Innenstadt von Dessau.
Die 1.500 Quadratmeter Fläche für die Dauerausstellung liegt in einem fensterlosen Sichtbetonriegel im Obergeschoss, unter dem sich wiederum das hohe und offene Erdgeschoss erstreckt.
Die Arbeit Lichtspielhaus von Lucy Raven aus New York besteht aus verschiedenfarbigen, raumhohen Glaspaneelen, die verschoben werden können.
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