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31.03.2011
Wir bauen nicht für Systeme, sondern für Menschen
BauNetz-Interview: Meinhard von Gerkan
Anlässlich der Eröffnung des Chinesischen Nationalmuseums von gmp (siehe BauNetz-Meldung zum Gebäude) haben wir Meinhard von Gerkan um ein Gespräch gebeten:
BauNetz: Herr von Gerkan, ihr Entwurf musste nach dem Wettbewerbserfolg vor allem in einem Punkt umgestaltet werden (siehe BauNetz-Meldung vom 1. September 2004). Warum konnte die zentrale Halle zum Platz hin nicht so offen gestaltet werden, wie Sie es ursprünglich geplant haben?
Meinhard von Gerkan: Man muss dazu den Platz des Himmlischen Friedens kennen. Er ist riesig, unwirtlich, fast unwirklich. Es ist dort entweder zu kalt oder zu heiß. Es gibt keine Aufenthaltsqualität. Deswegen wollten wir den öffentlichen Raum möglichst direkt mit dem Gebäude verknüpfen; die große, klimatisierte, öffentliche Halle des Forums hätte mit ihrem großen Dachkörper hier als Bindeglied fungiert. Dafür wollten wir allerdings den Mittelbau mit seinen Kolonnaden entfernen.
Direkt nach dem Wettbewerb setzte eine Diskussion auf mehreren gesellschaftlichen Ebenen ein. Es gab viele Vorbehalte, darunter auch, warum überhaupt ein westliches Büro mit dieser Aufgabe betraut wird. Unser Entwurf war einigen Beteiligten zu „westlich“. Im Kern ging es darum, inwiefern eine chinesische Identität sichtbar bzw. symbolisiert werden muss. Letztlich bat sich der Bauherr mehr Rücksicht auf das bestehende Gebäude und die chinesischen Traditionen aus, die wir in diesem Bau der Mao-Zeit nie entdecken konnten. Wir haben die Halle also hinter die Kolonnaden gesetzt und dadurch auch verkleinert; sie bietet allerdings auch in ihren kleineren Dimensionen bequem Platz für 10.000 Menschen.
BN: Sie arbeiten seit über zehn Jahren in China und mit chinesischen Partnern. Wie haben Sie die Zusammenarbeit bei diesem Projekt empfunden?
MvG: Bei keinem anderen Projekt sind uns die Grenzen so deutlich gemacht worden, wie bei diesem. An unseren anderen Bauten werden Sie nicht einmal Spuren von traditionellen chinesischen Elemente finden. Hier jedoch mussten wir auf die immer wieder geäußerte, große Erwartungshaltung reagieren. Wir haben also gewisse Materialien ersetzt und bestimmte Ornamente einfügen lassen, so auch die großen Bronzetüren am Eingang vom Platz und ein großes Wandrelief eines zeitgenössischen chinesischen Künstlers im Foyer. Wir konnten allerdings durchsetzen, dass dieses nicht in kräftigen Farben, sondern eben als farbloses Relief ausgeführt wird.
BN: Inwiefern sehen Sie das chinesische Nationalmuseum bei all den Veränderungen als ein Gebäude von gmp?
MvG: Es geht uns nicht um eine erkennbare Handschrift, sondern um eine architektonische Haltung. Wir wollen angenehme Räume, eine gute Lichtführung, ein bestimmtes Maß an Behaglichkeit und eine transparente Raumorganisation erreichen. Das sehe ich hier voll und ganz erreicht.
BN: Gab es einen Moment, in dem Sie gedacht haben, Sie müssten diesen Auftrag ablehnen?
MvG: Es gab eine sehr kritische Phase kurz nach der Beauftragung. Da wechselte plötzlich der Museumsdirektor, und ein Baumoratorium wurde verhängt. Wir wussten nicht warum. Wir wussten nur, dass auf irgend welchen politischen Ebenen über das Thema der „chinesischen Identität“ verhandelt wurde. Man ließ uns wissen, das Moratorium könne aufgehoben werden, wenn wir einige Details ändern würden. Aber die Bilder, die uns gezeigt wurden, waren so klischeehaft, dass wir sie ablehnen mussten. Hätte der Bauherr darauf bestanden, hätten wir den Bau nicht weiter begleiten können. Aber dann wurde Herr Lü zum neuen Direktor ernannt, ein Kalligraph mit einer exzellenten, sehr breiten Bildung. Besagte Bilder waren bald danach vom Tisch.
BN: Ist es als Architekt überhaupt möglich, bei einer so symbolischen Aufgabe wie dem Bau des chinesischen Nationalmuseums am Platz des Himmlischen Friedens, eine „kritische Distanz“, auch zum eigenen Auftraggeber, zu wahren?
MvG: Ich denke nicht, dass es eine Aufgabe der Architektur ist, eine „kritische Distanz“ zu wahren oder auszudrücken. Die Verantwortung jedes Einzelnen und das individuelle Handeln sind etwas anderes. So ist es, denke ich, vor allem die Aufgabe des Journalismus oder der Kunst, eine klare, eigenständige und auch kritische Haltung zu entwickeln und zu äußern.
BN: Aber das Nationalmuseum ist doch ein mächtiges, staatsrepräsentatives Gebäude für die chinesische Regierung.
MvG: Genau wie bei den Museen, Opern, Messezentren und Sportgebäuden, die wir in China bauen, ist die Regierung unser Bauherr. Aber an keiner Stelle des Auftrags hat sich uns die Frage gestellt, für welches System wir bauen. Die Entscheidung, dieses Gebäude bauen zu wollen, haben wir bereits vor dem Wettbewerb getroffen – ebenso wie die anderen Teilnehmer aus China und der ganzen Welt. Wir bauen nie für ein bestimmtes System, sondern für die Menschen. Keines unserer Gebäude in China ist in irgendeiner Form als Huldigung dieser Regierung zu lesen.
BN: Welche Bezüge gibt es zwischen ihrem Gebäude und den anderen Gebäuden am Tiananmen?
MvG: Im Prinzip steht der Neubau im Innenhof des Altbaus, von dem drei Flügel erhalten geblieben sind. Unser Entwurf bezieht sich in seinem Volumen, seiner Höhe und insbesondere mit der Dachlandschaft und den Attikas auf die großen Gebäude der Nachbarschaft. Aber ich denke, in der Qualität und der Gestaltung der Innenräume werden große Unterschiede klar. Unser Gebäude ist von großer Offenheit geprägt, von Transparenz und angenehmen Proportionen.
Wenn man gegenüber in den Palast des Volkes geht, dann fühlt man etwas ganz anderes, den Geist der Architektur vor 20 Jahren. Die dynamische Entwicklung Chinas im letzten Jahrzehnt findet sich dort nicht wieder. Natürlich wird nur wenigen Chinesen der direkte Vergleich möglich sein, da ja nur wenige in den Palast hinein dürfen – aber vielleicht werden ja wenigstens die Politiker, die dort ein und aus gehen können, in den Räumen des Museums diesen Unterschied fühlen.
Die Fragen stellte Florian Heilmeyer.
Zum Thema:
BauNetz-Meldung zur Eröffnung des Chinesischen Nationalmuseums
BauNetz-Bericht von der „Bauen für Despoten“-Debatte zwischen von Gerkan und Ingenhoven 2008 in Hamburg
Zu den Baunetz Architekt*innen:
gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner
Kommentare:
Kommentare (13) lesen / Meldung kommentieren
Meinhard von Gerkan
Visualisierung aus dem Wettbewerb 2004 für ein großes, geschwungenes, bronzenes Dach über dem Forum
Gebaut aber wurde letztlich ein riesiger Neubau, der dreiseitig von den Flügeln des Altbaus umschlossen bleibt.