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16.04.2024
Kleine Gesten, große Wirkung
Barrierefreies Einfamilienhaus in Hertfordshire von Knox Bhavan Architects
Dass dieses Haus etwas ganz Besonderes ist, liegt zunächst an seinem Bauherren und dessen ungewöhnlicher Geschichte: Im Sommer 2009 fährt der 17-jährige Brite Henry Fraser mit Freunden nach Portugal, um den Schulabschluss zu feiern. Beim Baden schlägt er mit dem Kopf so unglücklich auf, dass er eine schwere Rückenmarksverletzung erleidet. Von einem Moment auf den anderen ist er von den Schultern abwärts gelähmt, sitzt im Rollstuhl und muss sein Leben komplett neu ausrichten.
Er fängt wieder an zu malen, jetzt mit dem Mund. Er arbeitet als Motivationstrainer und mit The Little Big Things gelingt ihm ein Bestsellerbuch über sein neues Leben, das seit letztem Jahr auch als Musical in London gefeiert wird. Nun konnte sich Fraser einen weiteren Wunsch erfüllen und endlich in ein exakt auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Haus ziehen. Vorher hatte er mit pflegerischer Unterstützung bei seinen Eltern gewohnt. Dann wurde ein Grundstück in derselben Straße frei, nur fünf Türen weiter.
Mit dem Entwurf beauftragte Fraser Knox Bhavan Architects (London). Das Büro hatte der Familie bereits pro Bono geholfen, das Elternhaus nach dem Unfall umzubauen, sie waren mit Frasers Bedürfnissen also vertraut. Sein neues Haus steht an einer langen Sackgasse am Rande des Dorfes in der Grafschaft Hertfordshire, knapp 40 Kilometer nordwestlich von London. Das The Little Big House ist ein pavillonartiger Bau mit T-förmigem Grundriss und einigen klugen Gestaltungsentscheidungen.
Zentral liegt das Wohn- und Esszimmer mit einem abgetrennten Fernsehbereich. Dieser Flügel (das Bein des Buchstaben T) trennt zwei Höfe. Der zur Straße hin gelegene ist ein überwiegend versiegelter Vorhof, der hintere hat einen privateren Charakter. Im Flügel senkrecht zur Straße (im Kopfteil des T) befindet sich das Atelier, mit Ausblick auf den umzäunten vorderen Hof und die Straße. Hinten liegen das Schlaf- und das spezielle Badezimmer mit einem Eckfenster, durch das die Abendsonne hereinscheinen kann. Breite Schiebetüren lassen das kleine Haus großzügiger wirken und ermöglichen im Sommer eine unmittelbare Verbindung von innen und außen.
Angesichts zweier ständig anwesenden Pflegekräfte ist die Balance aus gemeinschaftlichen und privaten Flächen das wichtigste Thema in dem kleinen Haus. Nur die Zimmer für die Pflegekräfte haben schmale Türen. Im Erdgeschoss sind das eine kleine Schlafkammer in Hörweite von Frasers Bett sowie eine Teeküche und ein kleines Duschbad. Im Obergeschoss gibt es ein separates Schlaf- und Wohnzimmer für die zweite Pflegekraft, die auch wie eine Einliegerwohnung für Gäste genutzt werden könnte. Ein kleiner Aufzug macht das Obergeschoss auch für Fraser erreichbar.
Die Verwendung von viel Holz und die Ausführung als Niedrigenergiehaus seien dem Bauherrn ebenfalls wichtig gewesen, so Knox Bhavan. Und auch hinter dem weit auskragenden Dach steckt eine spezielle Überlegung. Denn der Transfer vom Auto in den Rollstuhl und umgekehrt ist für Fraser und seine Helfer*innen eine durchaus zeitaufwändige Angelegenheit, die im englischen Nieselregen zusätzlich nervenaufreibend sein kann. Hier hilft das Dach, alle Beteiligten trocken zu halten. Um die weite Auskragung nicht zu schwer wirken zu lassen, haben die Architekt*innen die Untersicht entlang der Ränder mit reflektierendem Aluminium verkleidet. So entsteht mit einer kleinen gestalterischen Geste der schöne Effekt eines leichten, fast schwebenden Daches – eine Geste, die sicher ebenfalls ganz im Sinne des Bauherrn ist. (fh)
Fotos: Edmund Sumner
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