Die Kiewer Rybalskyj-Insel – auf Deutsch Fischerinsel – darf man sich nicht als einen idyllischen Kiez vorstellen. Zwar sollen dort im frühen Mittelalter tatsächlich Fischer gesiedelt haben. Aber seither war das Areal eher eine Art Ablageplatz der Stadt – ein aufgeschüttetes Gebiet, das immer wieder überschwemmt wurde; am Fluss gelegen, aber ein wenig außerhalb des historischen Kaufmanns- und Schifferquartiers Podil. Am Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich eine Dampfschiffwerft, im Jahr 1930 wurde dort das zweite Kiewer Elektrizitätswerk in Betrieb genommen, und Ende der 30er Jahre kam ein großes Rüstungsunternehmen dazu. Anfang des 21. Jahrhundert war das meiste davon jedoch nur noch Brache, kontaminiertes und weitgehend unzulängliches Gelände.
Im Jahr 2016 entwickelte das Kiewer Planungsbüro BURØ einen städtebaulichen Masterplan für die Entwicklung der Fischerinsel. Als Leitbild wählten sie dabei nicht – was nahe gelegen hätte – ein Aufgreifen der Reste der Lager- und Produktionsstrukturen, sondern eine Aneignung durch die bestehende Stadt; eine Art „freundliche Übernahme“ der Industriebrache mit Hilfe städtischer Blockstrukturen. Gleichzeitig sollen die bisher nicht zugänglichen Uferbereiche für die Bevölkerung zurückgewonnen werden.
Unterdessen wurden die ersten beiden Blocks fertiggestellt, ein dritter ist im Bau. Parallel dazu konnte ein Teil des Straßennetzes aus Boulevards, Seiten- und Fußgängerstraßen in Betrieb genommen werden. Jeder der Blocks besteht dabei aus jeweils sechs Gebäuden mit einer gemeinsamen Tiefgarage unter der Innenhoffläche. In den Erdgeschossen wird nicht gewohnt, sie sind Gewerbe, sozialen und öffentlichen Nutzungen vorbehalten. Auf den Wohnebenen finden sich je Block insgesamt 45 unterschiedliche Wohnungstypen wieder; in den oberen Bereichen und den Staffelgeschossen auch Maisonettewohnungen.
SAGA Development gehört für lokale Architekt*innen zu den interessantesten Auftraggebern. Es handelt sich um einen privaten Immobilieninvestor, der Wert auf die Stadtverträglichkeit seiner Projekte legt und unterschiedliche Planungsbüros zum Tragen kommen lässt. Dennoch sind alle Wohnungen Eigentumswohnungen; überwiegend im mittleren Preissegment (bei den Maisonetten auch darüber).
Bei der Fassadengestaltung standen die Architekt*innen vor der Aufgabe, einerseits die Stadtblöcke auf Entfernung als Großformen erscheinen zu lassen, und andererseits die Einzelgebäude aus der Nähe kenntlich zu machen sowie eine kleinere Maßstäblichkeit einzuführen. Dafür verwendeten sie Kombinationen aus unterschiedlichen Fassadenmaterialien sowie Loggien, Balkonen und gesondert gestalteten Staffelgeschossen. Die Farbigkeit wurde den historischen Kiewer Innenstadtbereichen entlehnt.
„Wir hoffen, dass die Menschen, die in Zukunft auf der Fischerinsel wohnen werden, wieder mehr Zeit auf den Straßen und Höfen verbringen als in Shopping Malls,“ betonen die Architekt*innen. Das hoffen wir auch.
Text: Peter Knoch
Fotos: Ivan Avdeenko
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STPH | 03.09.2022 10:27 Uhr...
Schön wie in Bild 4 die dunkle Straßenfassade zur reinen Vorblendung wird, die Straße formatiert, während dahinter und im Hof der schlichte helle Kubus steckt.
Also wirklich eine Reduktion zum face oder Gesicht, wie eine Brille. Das Gesicht -vor- dem Kopf